Die Kunst, über die Liebe zu schreiben
Die Idee, einen Liebesbriefservice anzubieten, kam Veronika Fischer zu Corona-Zeiten. Im Lockdown konnten sich die Menschen nicht mehr begegnen, sie rutschten ins Digitale ab und trafen sich nur noch zu Online-Meetings. Dem wollte Fischer etwas Analoges entgegensetzen. Sie begann, Liebesbriefe für andere zu schreiben, und lancierte damit ein Angebot, das Nähe schuf trotz Distanz.
Ihre Kundschaft ist bunt gemischt. Männer, Frauen, solche, die studieren oder eine goldene Hochzeit feiern. «Die Liebe betrifft alle, vom Lastwagenfahrer bis zur Universitätsprofessorin», sagt die 36-Jährige. Fischer muss es wissen. Sie hat Literatur und Philosophie studiert und ein Buch über die Liebe verfasst. Die dreifache Mutter arbeitet als Journalistin und Autorin.
Bekommt Fischer einen Auftrag, führt sie mit den Kunden ein ausführliches Gespräch, hört sich ihre Geschichten an und bringt das Gesagte «in Form und schöne Worte». «Ich kann nicht zaubern, aber ich helfe Menschen, die unsicher sind und um die richtige Formulierung ringen.» Ein Patentrezept gebe es nicht. Liebesbriefe sind individuell. Veronika Fischer: «Die Briefe sollten persönlich sein und die individuelle Geschichte zum Ausdruck bringen. Man sollte sein Anliegen gefühlvoll niederschreiben, so, dass es den anderen berührt.»
Nichts erzwingen
Manche Kunden hegen die Hoffnung, mit ihrem Brief ein Herz zu erobern. Veronika Fischer dämpft diese Erwartungen: «Mit einem Liebesbrief kann man nichts erzwingen oder Gefühle heraufbeschwören, die nicht da sind.» Liebesbriefe könnten nur eine Einladung sein. Durch die Erzählungen bekommt Fischer einen tiefen Einblick in das Leben ihrer Kunden. Lieben sei nicht schwer, sagt sie. Oft seien die Beziehungen aber kompliziert, weil das eigene Ego, Ängste und Sorgen mitspielten. «Wenn wir alle nur lieben würden, wäre das Leben einfach.»
Ihre Kunden befinden sich meist in einer intakten Beziehung. Ihnen geht es darum, ihre Gefühle zu vermitteln. Oft schreibt Fischer die Briefe zu besonderen Anlässen wie Hochzeitstagen oder Geburtstagen. Manche Briefe gehen über die Paarbeziehung hinaus: Eltern schreiben ihren Kindern, die zum Studium ausziehen oder heiraten. Oder die Briefe richten sich an die Grosseltern oder an besondere Freundinnen und Freunde.
Für Fischer ist klar, dass Liebesbriefe auch in Zeiten von E-Mail, SMS und Tinder ihre besondere Bedeutung behalten. Die Digitalisierung habe ihre Vorteile, sagt sie, aber vieles sei flüchtig geworden. Wenn man sein Smartphone verliere, seien alle Texte verloren. Liebesbriefe könne man auch nach zwanzig Jahren noch lesen. Ausserdem verrieten Briefe viel Persönliches, sie zeugten davon, ob der Verfasser den Text schnell oder in Schönschrift geschrieben habe, welches Papier er gewählt und wie er den Brief verziert habe. All das ist digital nicht möglich.
An das Schöne erinnern
Vielen fällt es schwer, die Worte zu finden, wenn sie vor dem leeren Briefbogen sitzen. «Wenn einem nichts einfällt», sagt Fischer, «kann man sich an gemeinsame Erlebnisse erinnern und diese beschreiben. Möglichst sinnlich: Wie es aussah oder roch, welche Blumen blühten und wie der Wein schmeckte. Durch die Sinneseindrücke entsteht eine Atmosphäre, die zu den schönen Erlebnissen zurückführt.» Und noch ein Tipp von Fischer: «In einem Liebesbrief sollte man keinen Druck ausüben, sondern darauf achten, dass die Zeilen ein Geschenk sind, wie die Liebe selbst.»
Die Kunst, über die Liebe zu schreiben