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«Die Lösung der Schulleitung ist pragmatisch»

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11.04.2016
Zwei Schüler verweigerten der Lehrerin den Händedruck. Die Schule sollte einen Spielraum haben, um Ausnahmen zu bewilligen, meint Roland Dobler, Leiter der Fachstelle für Unterricht der reformierten Kirche Baselland.

Herr Dobler, ich weigere mich, in der Schule zu einer Prüfung anzutreten, weil mir mein Glaube das verbietet – käme ich damit durch?
Händedruck und Prüfungspflicht sind zwei verschiedene Dinge. Ohne bewertete Prüfungen kann ich keine Schule abschliessen, ohne Händedruck sehr wohl. Im Schulalltag ist die Geste, einander die Hand zu geben, ein Zeichen der Aufmerksamkeit und des Respekts, die in der Praxis aber nicht ausnahmslos eingefordert wird.

Der Händedruck ist also nicht Pflicht?
Die jüngeren Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe geben den Lehrerinnen und Lehrern am Anfang und am Ende der Stunde selbstverständlich die Hand. Werden sie älter, begrüssen sie die Lehrkraft oft nur noch mit einem freundlichen «Grüezi». Einzelne Lehrpersonen und auch Jugendliche halten am Händedruck fest, andere verzichten darauf. Eine Vorschrift dazu gibt es nicht, und kaum jemand würde sich eine solche wünschen.

Nun hat die Schulleitung aber eine Sonderregelung vereinbart mit den beiden Schülern.
Die Lösung der Schulleitung, dass die beiden Schüler in Zukunft sowohl den weiblichen als auch den männlichen Lehrpersonen die Hand bei der Begrüssung nicht mehr geben, ist meiner Meinung nach sehr pragmatisch und der Situation, dass viele Jugendliche ihre Lehrpersonen ohne Händedruck begrüssen, angepasst. Vermutlich weiss die Schulleitung aus dem Schulalltag auch, dass diese Begrüssungsgeste für viele muslimische Jugendliche kein Problem darstellt, auch wenn sie weibliche Lehrpersonen betrifft.

Nicht der Händedruck an sich ist also das Problem, sondern der Händedruck mit der Lehrerin?
Ich denke, dass die religiöse Begründung und das damit empfundene Wertegefälle zwischen Mann und Frau das eigentliche Problem ist und nicht unbedingt die Verweigerung des Handschlags selbst. Denn wenn ein 14-jähriger muslimischer Schüler aus religiösen Gründen einer weiblichen Lehrerin die Hand verweigert, wäre zu fragen, warum die Lehrkraft gerade in diesem Fall auf dem körperlichen Kontakt bei der Begrüssung besteht, obwohl viele Lehrpersonen bei andern Jugendlichen, welche aus entwicklungsbedingten Gründen nur noch «Grüezi» sagen, durchaus tolerant sind.

Das würde bedeuten, dass die Ausnahmeregelung für die beiden Schüler die Diskriminierung von Frauen toleriert.
Wenn Schüler aus religiösen Gründen nur einer Lehrerin, aber nicht den übrigen männlichen Lehrkräften den Händedruck verweigern, ist dies klar eine Diskriminierung. Manchmal aber schwelt hinter einem solchen Streitfall auch ein anderer Konflikt. Es kann dann sein, dass Jugendliche religiöse Gründe vorschützen, um der Lehrerin «eins auszuwischen». Dann wird sogar die Religion missbraucht und instrumentalisiert. Beurteilen kann deshalb diesen Fall eigentlich nur eine Instanz, welche tagtäglich mit den Beteiligten zu tun hat, die Schulleitung zusammen mit involvierten Lehrkräften.

Wäre es für die Schulleitungen nicht einfacher, sie könnten auf klare Regeln zurückgreifen?
Es wäre hilfreich, wenn zum Beispiel der Kanton für die Schulen klare Regeln erlässt, welche grundsätzlich einzuhalten sind, aber gleichzeitig den Schulleitungen die Möglichkeit einräumt, begründete Ausnahmen zu bewilligen oder nicht.

Wenn die Eltern andere Regeln einfordern als in der Schule gelten, geraten die Kinder unter Druck, weil sie sich für eine Seite entscheiden sollen. Müsste die Schule die Eltern stärker zur Verantwortung ziehen?
Halten sich Eltern nicht an die Regeln, sollte die Schule Instrumente in der Hand haben, mit denen sie diese Regeln auch durchsetzen kann. Sie sollte aber auch einen Spielraum erhalten, um Ausnahmen zu bewilligen. Denn auch wenn die Lehrkräfte und die Verantwortlichen einer Schule nach bestem aufgeklärten Wissen und Gewissen Regeln durchsetzen, müssen sie beachten, dass ein Schulkind letztlich in seiner Familie beheimatet ist und sich selbst unter widrigen Umständen meist mit seinen Eltern solidarisiert. Es führt meines Erachtens oft nicht zu einer konstruktiven Lösung von Konflikten, wenn die Schule Kinder vor ihren Eltern «retten» will. Es ist für ein Kind sicher nicht einfach, wenn man es gegen den Willen der Eltern in den Schwimmunterricht oder zum Händeschütteln zwingt. Es kann durchaus sein, dass eine bestimmte Situation einen entsprechenden Entscheid erfordert. Zu meinen, dass damit in jedem Fall dem Kind geholfen sei, ist meiner Meinung nach falsch.

Die Therwiler Schulleitung hat also richtig gehandelt?
Die Schulleitung von Therwil hat sich mit den Eltern an einen Tisch gesetzt und eine Lösung ausgehandelt, die für alle Beteiligten zumindest für den Moment akzeptabel ist. In meinen Augen ging man hier mit Bedacht vor. Ich sehe nicht, dass die beiden Schüler und hinter ihnen ihre Eltern in der Schule nun das Sagen hätten, wie von einigen Medien kommentiert wurde.

Durch solche Vorfälle wird Religion in der Schule wieder zum Thema. Dabei ging es in den letzten Jahren doch vor allem darum, sie aus den Schulen zu verbannen.
Das Zusammenleben von Religionen und vor allem der unterschiedlichen Auslegungen und Anwendungen der Religionen ist schon seit geraumer Zeit zum Beispiel durch die bisherige Migration und die neuste Flüchtlingswelle an unseren Schulen ein Thema. Auch wenn sich die staatlichen Schulen als «neutrale» und tolerante Institutionen verstehen, sind die Menschen in diesen Institutionen durch Traditionen und Wertesysteme geprägt, welche oft in der Religion verwurzelt sind.

Spiegelt sich das im Unterricht?
Auch wenn der Schulunterricht religiöse Fragen ab und zu aufgreift, ist das alltägliche Zusammenleben von religiös und nicht-religiös geprägten Menschen im Raum Schule noch kein zentrales Thema. Auf der Sachebene werden zwar die Religionen als Phänomene und geschichtlich-politische Faktoren, zum Beispiel im Geschichtsunterricht, behandelt. Die respektvolle Auseinandersetzung mit der Religiosität, mit der religiös geprägten Emotionalität, und den meist unbewusst tradierten Wertesystemen findet aber vor allem im kirchlich verantworteten Religionsunterricht statt.

Vielerorts wird heute darauf verzichtet, Weihnachtslieder zu singen oder Krippen aufzustellen. Der Religionsunterricht ist unter Druck oder wird in einigen Kantonen ganz aus der Schule verdrängt. Der Lehrplan 21 ersetzt religiöse Erziehung durch Ethikunterricht. Werden Christen von der Schule diskriminiert?
Von Diskriminierung würde ich nicht sprechen. Christlich erzogene Kinder werden nicht wegen ihrer Religion benachteiligt. Vielmehr versucht die Schule Religion und schulischen Alltag als zwei getrennte Bereiche zu betrachten. Die Schule wird als öffentlich und somit nicht-religiös betrachtet, während Religion in den privaten ausserschulischen Bereich verwiesen wird. Dass dieses Unterfangen schwierig ist, zeigt nun der Therwiler Fall. Religion ist in der Schule präsent, auch wenn der Unterricht vornehmlich nicht-religiös geprägt und ausgerichtet ist. Eine öffentliche Schule und ein öffentlicher Lehrplan sollten sich nicht zu einem Glauben «bekennnen», auch wenn dieser Glaube in den letzten Jahrhunderten unser Land bestimmt hat. Der Lehrplan 21 legt zwar grossen Wert auf die Thematik des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft, er beachtet aber auch die Religionen und ihre Erscheinungsformen in unserer Gesellschaft. Was meines Erachtens zu kurz kommt, ist die Beachtung der Religiosität, wie Kinder sie erleben und zum Teil in ihren Familien pflegen.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Interview: Karin Müller / Kirchenbote / 11. April 2016

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