Die Reise der Hoffnung erreicht ihr Ziel
Sie pilgerten bei Nebel, Hitze und Regen. An diesem Tag wanderte die Gruppe von Bossey nach Genf. Es war die letzte Etappe eines bemerkenswerten Projekts im Zeichen der Religionsfreiheit und des Friedens. Vor dem UNO-Gebäude liegen sich alle in den Armen. Auch Anita Vögtlin ist dabei. Die Basler Kirchenrätin hat den dreiwöchigen Pilgerweg massgeblich organisiert.
Jetzt wollen sie das unterwegs entstandene Buch mit der Petition für Religionsfreiheit vor dem UNO-Gebäude abgeben. Wochenlang hatten die Pilger versucht, bei der UNO einen Termin zu erhalten. Doch die Gruppe steht vor verschlossenen Türen. Auch das Gruppenfoto mit dem Buch unter dem UNO-Emblem lässt der Sicherheitsdienst nicht zu.
Das Foto entsteht schliesslich vor einem hohen Zaun unweit der UNO. «Ein symbolisches Bild zum Abschluss dieser Reise», sagt die feministische Muslimin Seyran Ateş, die die interreligiöse Pilgerreise initiiert hat. Die Petition soll nun per Post an die UNO geschickt werden. Ein Exemplar geht nach Basel. Dorthin, wo diese Reise begonnen hat.
Die Welt zu verändern
Die Pilgerinnen und Pilger ziehen alle ein positives Fazit. In der Gruppe sei ein guter, verbindender Geist entstanden, sagt Eva Opitz aus Reinau: «Beim Pilgern muss ich mich nicht nur gegenüber anderen Menschen öffnen, sondern auch auf andere Religionen einlassen. Das verbindet uns.»
Hazel lebt als queere Muslimin in New York. Für das Pilgern mit Seyran Ateş ist sie extra in die Schweiz geflogen. Sie will den Weg mit ihr gehen, weil sie bewundert, was sie mit ihren Aktionen bewirkt. «Ich fühle mich mit ihr seelenverwandt. Was sie für die Frauen tut, verändert die Welt», ist sie überzeugt.
Das Thema hat viele bewegt
In den letzten drei Wochen sind 150 Menschen mit gewandert. Das Interesse war offensichtlich da. Seyran Ateş wundert das nicht: «In ganz Europa wird viel darüber geredet, aber selten in einem solchen Rahmen», sagt sie. Deshalb habe sie auch das Interesse der Schweizerinnen und Schweizer nicht überrascht. Die Gespräche während der Pilgerreise hätten das bestätigt. Es gab unglaublich viel Gesprächsbedarf!
Licht und Schatten
Die Pilgerinnen und Pilger erlebten viele eindrückliche Momente. Seyran Ateş zeigte sich beeindruckt vom Besuch bei den orthodoxen Mönchen im Kloster Beinwil: «Dieses Essen, die Gastfreundschaft und dieser Garten. Ein paradiesischer Ort! Auch Bischof Felix Gmür habe bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er war ganz bei uns. Wunderbar!» Anita Vögtlin freut sich besonders, dass neben anderen zwei jüdische Brüder aus einer liberalen jüdischen Gemeinde und ein Muslim mitmarschiert sind.
Seyran Ateş hätte sich allerdings gewünscht, dass mehr liberale Muslime mitgelaufen wären. «Dass es so wenige waren, spiegelt die Realität wider. Genau deshalb bin ich diesen Weg gegangen, damit mehr liberale Muslime sichtbar werden», betont sie. Ähnlich sieht es der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert. Für liberale Musliminnen und Muslime sei es in verschiedenen Situationen lebensgefährlich, ihren Glauben zu leben. Es schmerzte ihn, dass die Vertreter der muslimischen Gemeinschaft dem Empfang der Reformierten Kirche Bern-Solothurn ferngeblieben waren.
Bossey für Muslime
Während der Pilgerreise wurden weitere Pläne geschmiedet. Lukas Kundert resümiert: «Diese Reise hat mir gezeigt, dass es in der Schweiz Menschen gibt, die sich für dieses Thema interessieren und dass es eine Chance gibt, einen Treffpunkt für liberale Muslime und ihre Freunde zu schaffen.» Dies sei der erste Schritt, den er zusammen mit Seyran Ateş angehen wolle. Im Herbst 2025 soll die Begegnungsstätte stehen.
In einem zweiten Schritt soll eine Art «muslimisches Bossey» entstehen. Die Pilgerinnen und Pilger hätten Bossey als einen Ort des respektvollen Austauschs zwischen reformierten, protestantischen und orthodoxen Christen kennengelernt. «Ein solcher Ort muss auch für Muslime geschaffen werden. Er soll dazu beitragen, dass auch konservative Muslime beginnen, liberale Muslime zu respektieren», betont Lukas Kundert. In einem nächsten Schritt soll ein interreligiöses Kloster entstehen.
Die Reise geht weiter
Mit vielen neuen Gedanken und Einsichten verlassen die Pilgerinnen und Pilger Genf. Anita Vögtlin: «In diesen Tagen wurden viele kleine Samen gesät, die hoffentlich Früchte tragen werden.» Auch Seyran Ateş ist zufrieden: «Diese Reise hat alle meine Erwartungen erfüllt. Sie hat gezeigt, wo die Baustellen sind. «Es ist dringend notwendig, dass die politischen Parteien die Stärkung der liberalen Kräfte im Islam auf ihre Agenda setzen», zieht Lukas Kundert Bilanz.
Impressionen der Etappen von Moudon nach Epalinges, Lausanne, Morges, Rolle, Nyon, Bossey nach Genf
Die Reise der Hoffnung erreicht ihr Ziel