Die Schweiz plant ein Friedensforum zum Berg-Karabach-Konflikt
Das Schweizer Parlament hat entschieden: Innerhalb eines Jahrs soll der Bundesrat ein internationales Friedensforum zum Berg-Karabach-Konflikt organisieren. Die Initiative soll zur Stabilisierung der Region beitragen und die Rückkehr der vertriebenen Armenier ermöglichen.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion schwelt der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach. Bereits in den 1990er-Jahren gab es blutige Auseinandersetzungen. 2020 brach erneut ein Krieg aus, im September 2023 besetzte Aserbaidschan die gesamte Region innerhalb weniger Tage. 120’000 Armenier mussten innert kürzester Zeit fliehen, viele mit kaum mehr als den Kleidern am Leib.
Viele hatten ihr gesamtes Leben in Berg-Karabach verbracht und stehen nun vor dem Nichts.
Fehlende Wohnungen und Geld
«Die meisten Geflüchteten haben sich in Armenien niedergelassen, vor allem in Jerewan», berichtet Marc Zoss vom Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz Heks, das in Armenien humanitäre Hilfe leistet. Von der lokalen Bevölkerung seien sie mit offenen Armen empfangen worden, haben sie doch die gleiche Herkunft und sprechen sie die gleiche Sprache. Dennoch stünden viele Armenier aus Berg-Karabach vor grossen Herausforderungen. «Viele von ihnen waren in Berg-Karabach im Dienst der Regierungs- oder des Militärs und verdienen jetzt einiges weniger.» Besonders schwer sei es für ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern. «Viele hatten ihr gesamtes Leben in Berg-Karabach verbracht und stehen nun vor dem Nichts», so Zoss.
Auch Joel Veldkamp vom ökumenischen Hilfswerk Christian Solidarity International (CSI) schildert eine angespannte Lage. Von den rund 70’000 arbeitsfähigen Geflüchteten hätten nur 21’000 eine Anstellung gefunden – oft unter schlechten Bedingungen. «Und die finanzielle Unterstützung der armenischen Regierung wird nun drastisch gekürzt.» Praktisch alle Armenier aus Karabach wollten arbeiten, nun seien sie in einem Dilemma: «Die armenische Regierung hat sie aufgefordert, die armenische Staatsbürgerschaft zu beantragen, um bestimmte Sozialleistungen zu erhalten. Die überwältigende Mehrheit will die armenische Staatsbürgerschaft aber nicht beantragen, da man befürchtet, dies könnte als Aufgabe ihres Rückkehrrechts gewertet werden.»
Nothilfe, Arbeitsintegration, Gemeinschaft
Sowohl Heks als auch CSI setzen sich intensiv für die Unterstützung der Geflüchteten ein. So stellte Heks Notunterkünfte bereit, verteilte Essen, leistete finanzielle Unterstützung, half bei der Einschulung von Kindern und bietet psychosoziale Programme. Ein zentraler Aspekt sei zudem die Bildung und Integration in den Arbeitsmarkt, sagt Marc Zoss: «Wir helfen Geflüchteten dabei, ihre Ausbildung fortzusetzen oder ihre beruflichen Qualifikationen in Armenien anerkennen zu lassen.» Ein dritter Fokus des Engagements von Heks liegt auf dem Gemeinschaftsaufbau von Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung.
Ein Forum allein wird nicht reichen, wenn nicht auch echte politische Lösungen angestrebt werden.
CSI arbeitet mit Armenian Caritas zusammen, um Geflüchteten Wohnraum und Unterstützung für Existenzgründungen bereitzustellen. Das grösste Projekt des Hilfswerks ist jedoch der Aufbau eines Rehabilitationszentrums in Jerewan für Menschen mit körperlichen und psychischen Kriegsverletzungen.
Vorsichtig optimistisch
Die Idee eines Friedensforums wird sowohl von Heks als von CSI als wichtiger Schritt begrüsst – doch die Erwartungen sind gedämpft. «Es ist gut, dass die Schweiz einen Dialog anstossen will», sagt Marc Zoss. «Aber dieser Konflikt reicht weit zurück, und es gibt tiefe Wunden auf beiden Seiten. Ein Forum allein wird nicht reichen, wenn nicht auch echte politische Lösungen angestrebt werden.»
Joel Veldkamp weist auf die geopolitischen Dimensionen hin: «Die USA und Russland beeinflussen die Region stark und ihre Machthaber handeln unvorhersehbar. Dennoch: Wenn sich internationale Machtverhältnisse ändern, könnte sich auch für die Karabach-Armenier eine neue Perspektive eröffnen.» Doch dafür müsse das Forum internationale Aufmerksamkeit gewinnen. «Wenn es gelingt, dass sich grosse Akteure ernsthaft mit der Lage der Geflüchteten auseinandersetzen, könnte das Forum eine Chance sein.»
EKS appellierte an Bundesrat
Auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) freute sich auf den sozialen Medien über den Entscheid des Parlaments, eine Motion anzunehmen, welche ein Friedensforum fordert. Sie setzt sich bereits seit einiger Zeit für eine friedliche Lösung des Konflikts ein. Im September 2023 reiste eine Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen unter der Leitung von EKS-Präsidentin Rita Famos nach Armenien, um auf die drohende humanitäre Katastrophe in Berg-Karabach aufmerksam zu machen. Dabei wurde die Delegation wurde Zeugin der Eskalation. Am 19. September begann die Militäroperation, die innerhalb von 24 Stunden die Kontrolle über das Gebiet sicherte. Die Delegation musste ihre Fahrt von Erewan in die Krisenregion abbrechen.
Im Mai 2024 forderte die EKS – wie bereits CSI im Mai ein Jahr zuvor – den Bundesrat und das Parlament auf, ihre Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat zu nutzen, um sich für die Wahrung der Menschenrechte und des Völkerrechts in diesem Konflikt einzusetzen.
Friedensgespräche im Krisengebiet
Diesen März scheinen Armenien und Aserbaidschan einige Fortschritte in ihren Friedensverhandlungen erzielt zu haben. Beide Länder einigten sich auf den Wortlaut eines Friedensabkommens. Trotz dieser positiven Entwicklung bleiben einige strittige Punkte ungelöst. Auch ist unklar, ob Aserbaidschans am Plan festhält, im Süden Armeniens den sogenannten Sangesur-Korridor zu realisieren. Mit der Verkehrsverbindung will sich aserbaidschanische Kernland mit seiner Exklave Nachitschewan verbinden. Armenien hingegen befürchtet, der Korridor weitere territoriale Ansprüche Aserbaidschans nach sich ziehen könnte und lehnt ihn ab.
Der Konflikt um Berg-Karabach reicht bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück, eskalierte aber mit dem Zerfall der Sowjetunion. 1991 erklärte sich die mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnte Region für unabhängig. Ein Krieg, der von 1992 bis 1994 dauerte, forderte Zehntausende Todesopfer und massenhafte Vertreibungen. Ein Waffenstillstandsabkommen beendete die Kämpfe, doch Berg-Karabach wurde international nicht anerkannt.
2020 startete Aserbaidschan eine Militäroffensive, um die verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Ein von Russland vermitteltes Abkommen veränderte die Grenzziehungen und liess nur den Latschin-Korridor als Verbindung nach Armenien. Im Sommer 2023 blockierte Aserbaidschan diesen Zugang, wodurch die humanitäre Lage dramatisch verschärft wurde. Im September 2023 folgte eine erneute Offensive Aserbaidschans, die innerhalb eines Tages den Widerstand brach. Fast die gesamte armenische Bevölkerung floh nach Armenien. Kurz darauf erklärte Aserbaidschan den vollständigen Sieg. Der Präsident der Republik Bergkarabach unterzeichnete ein Dekret, das die Auflösung der Republik zum 1. Januar 2024 vorsah. Dies sollte es seinem Volk ermöglichen, Karabach zu verlassen, ohne massakriert zu werden. Sobald die Flüchtenden jedoch in Armenien waren, räumte er ein, dass er keine verfassungsmässige Befugnis hatte, die Republik aufzulösen. Das Parlament von Berg-Karabach tagt noch immer im Exil.
Die Schweiz plant ein Friedensforum zum Berg-Karabach-Konflikt