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«Die Wahl macht das Leben nicht einfacher, aber ehrlicher»

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30.08.2018
«Was gibt im Leben Halt?», fragt die Aussprachesynode und hat für Antworten einen ehemaligen Jesuitenpater ­eingeladen, der die Nationalhymne umschreiben will: Lukas Niederberger, Hausherr über das Rütli.

Betritt man das Büro von Lukas Niederberger, fällt das blaue Neonkreuz ins Auge, das auf Stroh in eine Holzkiste gebettet ist. Dreht man sich um, reihen sich an der Wand Dutzende von alten Bundesfeier-Postkarten auf. Der Theologe verwaltet als Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft SGG seit 2013 das Rütli. An seinem Arbeitsort in Zürich treffen Tradition und Moderne, Glaube und Patriotismus aufeinander. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Thema der Aussprachesynode Baselland, die den 54-jährigen St. Galler im September als Referenten eingeladen hat. Das Thema: Was gibt uns heute Halt?
«Die Natur», antwortet Lukas Niederberger spontan auf die Frage, was ihm persönlich Halt gibt. 2007 trat er aus dem Jesuitenorden aus und führt seither ein weltliches Leben. So oft wie möglich geht er wandern. Dazu braucht er an seinem Wohnort in Rigi-Klösterli auf 1300 Metern Höhe bloss vor die Haustür zu treten. «Beim Gehen spüre ich, wie mir der Boden Halt gibt, das erdet mich», sagt er. Halt findet er zudem bei seinen Freunden – wie auch 98 Prozent der Schweizer Jugendlichen. Dies habe die Jugendumfrage des Bundes aus dem Jahr 2013 ergeben. Fast ebenso viele der Befragten nannten die Familie.Können Staat und Kirchen den Menschen Halt bieten in einer Gesellschaft, die sich in der Wahrnehmung vieler in Auflösung befindet? Ja, sagt Niederberger, der bei der wachsenden Liebe zur Heimat zwischen Nationalismus und Patriotismus unterscheidet. «Ich kann verstehen, wenn jemand Halt sucht in der nationalen Identität», meint er. Man dürfe das eigene Land oder das eigene Volk aber trotz Heimatliebe nicht über andere stellen.Eine seiner heutigen Aufgaben als Geschäftsleiter der SGG ist es, einen neuen Text für die Nationalhymne, den Schweizerpsalm, zu suchen. Nicht, weil er traditionelle Werte oder patriotische Rituale abschaffen wollte. «In der jetzigen Fassung werden die Natur und Gott besungen, aber keine Werte unserer heutigen Gesellschaft», erklärt Niederberger. Der neue Text basiere auf der Präambel der Bundesverfassung und enthalte einen Katalog von Werten wie etwa Solidarität, Offenheit und Friede. «Werte, die das Christentum und die Kirche seit 2000 Jahren fördern», betont der Theologe. Der Sinn der SGG-Initiative sei es, diese Werte zu stärken. «Wenn man den neuen Text regelmässig singt, verinnerlicht man seinen Inhalt.» Lukas Niederberger wurde mit diesem Projekt quasi zu einem zivilen Katecheten, die Eidgenossenschaft zu seinem Klassenzimmer.

Sinnvermittlungs-Monopol verloren
Nur gerade 29 Prozent der Schweizer Jugendlichen gaben in der Umfrage von 2013 an, Halt in Religion und Kirche zu suchen. «Die Kirchen haben kein Sinnvermittlungs-Monopol mehr», sagt Lukas Niederberger. «Glück und Zufriedenheit versprechen auch viele andere Institutionen.» Im 16. Jahrhundert sei es einfacher gewesen, «man war gemäss Katechismus auf Erden, um Gott zu dienen und die Seele zu retten. Die religiöse Praxis beantwortete die Frage nach dem Sinn des Lebens. Dass man heute zwischen vielen Anbietern von Sinn und Werten wählen kann, macht das Leben nicht einfacher, aber freier und ehrlicher. Man wählt das, was plausibel erscheint, und nicht so, wie es der soziale Druck fordert.»Die Kirchen bieten laut Niederberger auch heute viele Gelegenheiten, Halt zu finden. So förderten sie das Innehalten, etwa mit den Feiertagen und dem Sonntag. «Sie brechen den Rhythmus der Leistungsgesellschaft, die uns ständig fordert, und zeigen uns, dass es noch anderes gibt im Leben als Arbeit.»Eine Herausforderung für die Landeskirchen sieht Niederberger darin, neben den Kirchgemeinden die Seelsorge dort zu fördern, wo sich Menschen im Alltag bewegen. «Viele Leute begegnen heute der Kirche im Krankenhaus, im Altersheim oder an den Universitäten. Die Menschen sind mobil, sie organisieren und engagieren sich immer seltener am Wohnort. Die Kirchen müssen dort präsent sein, wo sie die Leute erreichen», wo diese arbeiten, ihre Freizeit verbringen oder gar virtuell unterwegs sind. Das sei nicht einfach, räumt der Theologe ein, doch «der gute Jesus hatte auch keine Kirchgemeinde». Der frühere Priester feiert Gottesdienst heute nicht sehr oft in Form von Liturgie, sondern versucht «ihn in der privaten und beruflichen Förderung von Armutsbetroffenen und Flüchtlingen zu leben».

29.08.2018 / Karin Müller

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