Die Widerstandsfähigkeit lässt sich trainieren
Frau Adler, was ist Resilienz?
Wir im Resilienzzentrum Schweiz erklären das Thema mit den Stehauf-Figürchen, mit denen wir alle früher einmal gespielt haben. Es gibt Situationen, in denen wir uns nicht so toll fühlen und wir überfordert sind. Dann lassen wir, wie das Figürchen, den Kopf hängen, oder wir knicken ganz ein. Die Feder im Stehauf-Figürchen ist unsere Resilienz. Sie bewirkt, dass wir uns wieder aufrichten, und stellt die positive innere Widerstandskraft eines Menschen und seine Fähigkeit, mit Schicksalsschlägen umzugehen, dar. Krisen gehören zum Leben. Nicht jeder kann jedoch gleich gut damit umgehen. Man kann die Resilienz auch das Immunsystem der Psyche nennen.
Vor zehn Jahren war der Begriff «Resilienz» nur wenigen bekannt. Heute hat er sich zu einem Modebegriff entwickelt.
Natürlich ist es ein Modewort. Dies ist auch gut so. Es ist Zeit, dass wir in unserer Gesellschaft Leistungsgrenzen wahrnehmen und darüber sprechen. Der Aufstieg des Begriffes «Resilienz» erfolgte parallel zu demjenigen des Burnouts, also der völligen psychischen und körperlichen Erschöpfung. Wir fühlen uns zunehmend gestresst. Wir sind digital vernetzt, kommunizieren auf verschiedenen Kanälen und sind über die Smartphones zunehmend im Beruf ständig erreichbar. Damit überfordern sich viele.
Manche gehen an Schicksalsschlägen zugrunde, andere können diese gut verarbeiten. Ist diese Widerstandskraft vererbbar?
Genetik, Umwelteinflüsse und eigene Erfahrungen spielen eine Rolle. Eine amerikanische Studie zeigt auf, dass Kinder, die medizinischen und sozialen Risikofaktoren ausgesetzt sind, sich dennoch positiv entwickeln können. Das trifft auf ungefähr ein Drittel dieser Kinder zu. Diese Kinder sind resilient. Voraussetzungen für eine positive Entwicklung unter schlechten Bedingungen ist zum Beispiel die Offenheit, emotionale Unterstützung bei Familienmitgliedern oder anderswo zu holen.
Was zeichnet resiliente Menschen aus?
Sie verfügen meist über ein Netz von sozialen Kontakten und eine optimistische Grundeinstellung. Das heisst nicht, dass sie alles Negative ignorieren. Sie sind aber überzeugt, dass sich die Dinge zum Positiven wenden, wenn sie ihre Fähigkeiten und Potenziale realistisch einschätzen.
Es gibt also Wege, sich gegen Unbill zu wappnen. Man kann Resilienz lernen?
Ja, denn Resilienz hängt nicht nur von der Persönlichkeit ab, sondern lässt sich trainieren. Wenn man beispielsweise singt, ist man nicht traurig. Zudem hat man eine gute Körperhaltung und spürt seinen Körper ganz bewusst. Es gibt zahlreiche Übungen, mit denen man seine Widerstandskraft stärken kann. Indem man sich ganz auf sich konzentriert, seine Emotionen steuert und seine Impulse kontrolliert. Das tönt kompliziert, ist aber einfach, wenn man es unter Anleitung tut. Kreativität ist übrigens auch Balsam für die Seele.
Funktioniert das auch im Alter?
Ja. Viele Menschen gehen davon aus, dass man im Alter nicht mehr aufnahmefähig sei. Das stimmt nicht. Ich finde, man sollte endlich aufräumen mit dieser Schubladisierung der älteren Menschen. Die Neurologie zeigt klar, dass sich unser Gehirn ein Leben lang weiterentwickelt. Die Synapsen im Hirn verbinden sich bis ins hohe Alter immer wieder neu.
Was raten Sie älteren Menschen in Bezug auf Resilienz?
Die Pensionierung empfinden die meisten Menschen heute nicht mehr als Beginn des Alters. Auf den beruflichen Ruhestand sollte deshalb der private Unruhestand treten. Ich empfehle deshalb manchmal älteren Menschen, eine sogenannte «Bucket List» zu erstellen. Gemeint ist eine Liste von Erfahrungen, Dingen und Erlebnissen, die man in seinem Leben noch machen möchte. Beispiele für Punkte auf dieser Liste könnten sein: ein neues Handwerk erlernen, eine Weltreise machen oder einen Kurs besuchen. Und: Sich Wünsche zu erfüllen, ist doch eine grossartige Sache, oder?
Sie sind 53. Haben Sie für sich schon eine «Bucket-List» erstellt?
Ich sage schon lange, dass ich noch einmal ein paar Monate nach Südamerika reisen und endlich Spanisch lernen möchte. Dann möchte ich einmal Schweden und Island besuchen oder an einem Entwicklungshilfeprojekt teilnehmen. Weiterhin möchte ich zudem Singstunden nehmen.
Wie resilient sind Sie selbst?
Heute bin ich es definitiv stärker. Ich war während Jahren in der Wirtschaft tätig und baute später nebenbei eine Firma auf. Ich war wie ein Duracel-Hase – wenn andere nach Hause gingen, arbeitete ich weiter. Natürlich hatte ich Spass dabei. Aber: Ich betrieb auch körperlichen und seelischen Raubbau. Als dann meine Eltern erkrankten, wurde alles zu viel. Ich brauchte eine Auszeit. In dieser Zeit begann ich, mich intensiv mit Resilienz auseinanderzusetzen.
Philippe Welti, kirchenbote-online, 28. September 2017
«Wie stärken wir unsere psychische Widerstandskraft?», Vortrag von Katrin Adler, Freitag, 29. September, 14.30 Uhr, Thomaskirche Adligenswil LU
Die Widerstandsfähigkeit lässt sich trainieren