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«Diskriminierung habe ich nie erlebt»

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08.06.2020
Lena-Lisa Wüstendörfer hat sich als Frau in einer Männerdomäne durchgesetzt und ist eine international erfolgreiche Dirigentin. Die Macht, die vom Taktstock ausgeht, empfindet sie als grosse Verantwortung.

Mit dem Vorwurf, Dirigentinnen würden mit ihrer «sexuellen Energie» die Orchestermusiker irritieren, löste der russische Dirigent Vasily Petrenko 2013 einen Skandal aus. Bis heute schwingen vor den grossen Orchestern dieser Welt markant weniger Frauen den Taktstock als Männer. Doch es gibt sie. Eine davon ist die junge Schweizerin Lena-Lisa Wüstendörfer. Von 2011 bis 2019 leitete sie das Uni-Orchester Bern. Heute ist die promovierte Musikwissenschaftlerin und Violonistin künstlerische Leiterin des Berner Bach Chors und Music Director des Swiss Orchestra. Zahlreiche Engagements führen sie zu renommierten Klangkörpern wie dem Luzerner Sinfonieorchester und dem Zürcher Kammerorchester.

Alte Konventionen
Lena-Lisa Wüstendörfer eroberte eine Männerdomäne. «Dass ich heute deutlich mehr Kollegen als Kolleginnen habe, ist wahrscheinlich alten Konventionen geschuldet und hat nichts mit den Anforderungen an die Qualitäten einer Orchesterführung zu tun», sagt die Musikerin und führt aus: «Meine Verantwortung als Dirigentin liegt darin, ein optimales Zusammenspiel des Orchesters zu ermöglichen und die Interpretation der Musik zu gestalten. Diese Führungsrolle wurde in der Vergangenheit oft einseitig mit autoritärer Machtausübung verbunden und daher traditionell Männern zugeschrieben. »

Die Orchesterleiterin führt die Musiker durch den Arbeitsprozess, in dem sie Takt und Ton vorgibt. «Während des Konzerts hingegen bin ich vielmehr die Impulsgeberin», sagt sie und betont: «Diese Art von Einflussnahme wird in der Regel als Macht bezeichnet. Ich empfinde sie als grosse Verantwortung.»

Wie ein Unternehmen
Ein Orchester funktioniert in zahlreichen Aspekten wie ein Unternehmen. Jede Instrumentengruppe besteht aus verschiedenen Abteilungen – den Registern. «Jedes Register hat seinen eigenen Stimmführer. In einer Firma wäre das der Abteilungsleiter», erklärt die Musikerin. «Als Dirigentin koordiniere ich das Zusammenspiel und achte darauf, dass die Instrumente gut zueinander ausbalanciert sind. Ich entwickle eine musikalische Vision und versuche, uns gemeinsam dahin zu bringen.»

Arbeitet ein Orchester also undemokratisch? «Wenn die Musiker die Ausgestaltung eines Werks selbst definieren müssten, würde es in einem grossbesetzten Orchester sehr lange dauern, bis alles ausdiskutiert wäre. Jeder hat eine eigene Vorstellung davon, wie gespielt werden soll. Um hier zeitnah einen Konsens zu erreichen, übernehme ich als Dirigentin diese Aufgabe», erklärt Wüstendörfer.

Nicht persönlich nehmen
Die Frage, ob die Orchestermitglieder Dirigentinnen gleich gut akzeptieren wie Dirigenten beantwortet sie pragmatisch: «Diskriminierung habe ich nie erlebt. Aber das hat wohl auch damit zu tun, dass ich Dinge nicht persönlich nehme.» Für Lena-Lisa Wüstendörfer ist klar: Eine Frau dirigiert nicht anders als ein Mann. «Ich möchte tolle Musik aufführen. Dass ich eine Frau bin, ist in diesem Zusammenhang unwesentlich. Eine Interpretation wird entscheidend von der Persönlichkeit eines Menschen geprägt, nicht von dessen Geschlecht», sagt sie. Gleichwohl schlägt ihr als Frau manchmal eine besondere Aufmerksamkeit entgegen, wenn sie vor ein Orchester tritt: «In diesem Moment habe ich zwei Möglichkeiten: Ich setze mich unter Druck, um nur ja keinen Fehler zu machen. Oder ich werte es als positiv, dass alle von Anfang an so aufmerksam aufpassen. Ich entscheide mich für Letzteres.»

Adriana Di Cesare-Schneider, kirchenbote-online

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