Ein alpiner Garten Eden
Der Giessbach kommt tiefbraun angerauscht, die Luft riecht lehmig. Es hat sintflutartig geregnet an diesem Morgen im Berner Oberland, so auch in der Region Brienz. Trotz der Kühle, die der Bach verströmt, heizt sich die Luft beim Aufstieg auf die Schweibenalp gegen Mittag schon wieder hochsommerlich auf. Beim Eintreffen auf der Schweibenalp klebt das T-Shirt am Körper.
Das Erste, was Eintreffende von dieser besonderen Anlage zu sehen bekommen, ist das grosse, mehrstöckige Gästehaus mit Schindelfassade, einem Kreuzgiebeldach und einem modernen angebauten Speiseraum – ein stattliches Gebäude, das man hier, in dieser alpinen Abgeschiedenheit, nicht unbedingt erwarten würde. Dass hier aber reges Leben herrscht, zeigen die vielen Leute, die ein und aus gehen. Und noch mehr jene hauptsächlich jungen Menschen, die unter freiem Himmel arbeiten, die Harke schwingen, mit der Stechgabel hantieren, jäten oder die Erde lockern.
Geschlossene Kreisläufe
Auf der Schweibenalp befindet sich das grösste Permakultur-Projekt der Schweiz. Betrieben wird hier Kreislaufwirtschaft, sprich Gemüse- und Kräuteranbau mit geschlossenen Produktions-, Wasser- und Energiekreisläufen. Kreisläufen also, bei denen möglichst nichts von aussen zugeführt werden muss. Abfall gibt es kaum, denn dieser wird in den Prozess integriert. Und symbiotische Pflanzengesellschaften werden gefördert.
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Beim Erkunden der Anlage bekommen die Besucherinnen und Besucher eine mehrere Sportfelder grosse Gartenlandschaft zu sehen, sich an einem Hang, auf einer etwas höher gelegenen Ebene und auf terrassiertem Gelände natürlich in die Alpenlandschaft einfügt. Und hier oben doch auch wieder sehr ungewohnt, wenn nicht sogar exotisch wirkt, in ihrer blühenden, vielfarbig wachsenden und wuchernden Vegetationsdichte in rauer Berglandschaft.
Erstaunlich, dass dies alles auf einer Höhe von 1100 Metern gedeihen kann, aber geschickte Terrassierung, die Zucht von Samen mit höhenresistenten Sorten und ein Erdtreibhaus nach peruanischem Vorbild machen es möglich.
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Mehrere idyllisch angelegte Teiche evozieren Bilder eines japanischen Naturgartens. In Gemüsebeeten wachsen Nutzpflanzen in anregend bunter Mischkultur: Aus dem Karottenkraut zum Beispiel leuchtet weiss blühende Kamille hervor, und im selben Beet wie Salat und Kohl steht gelbstieliger Schnittmangold. Diese Beete werden von jungen Volontären gepflegt. Gerade erteilt eine Teamleiterin Anweisungen: «Wir arbeiten hier jetzt noch eine Stunde, dann gehen wir hinunter zum Essen.»
Durcheinander und Miteinander
Voller Blüten, Schmetterlingen und Insekten zeigen sich die Kräuterterrassen. Was hier alles blüht und duftet, und dies in einem inspirierenden und natürlich wirkenden Durcheinander und Miteinander: Mohn, Kornblume, Borretsch, Königskerze, Thymian, Bergbohnenkraut, Dill, Lavendel, Oregano und vieles mehr. «Die Stauden dürfen alle ein bisschen dort wachsen, wo sie wollen, so kommt es am besten», erklärt eine ältere Gärtnerin interessierten Besuchern und fügt an: «Schade, dass die Gartenkultur in der heutigen Gesellschaft keine grosse Rolle mehr spielt; wir möchten mithelfen, das Interesse neu zu wecken.»
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In der Tat ist die Schweibenalp nicht nur eine Permakultur-Anlage, sondern auch eine Kursstätte mit einem vielfältigen Angebot an Veranstaltungen rund um Permakultur und Spiritualität. Ja – auch um Spiritualität, denn diese ist ein tragender Pfeiler des Lebens und Wirkens auf der Schweibenalp. Das wird während dem Bummel durch das Areal schnell klar, denn an vielen Orten stehen Steinskulpturen, die hinduistische und andere Gottheiten zeigen: den Elefantengott Ganesha; Radha, die flötenspielende weibliche Entsprechung des Gottes Krishna; Buddha und auch Maria mit dem Jesuskind – Figuren, die man, in kleinerer und bunterer Ausführung, auch im Shop des Gästehauses findet, nebst Büchern, Räucherstäbchen, tibetischen Klangschalen, Halbedelsteinen und weiteren spirituellen Gegenständen.
Das «Zentrum der Einheit» – so nennt sich die Institution auf der Schweibenalp – hat seinen Schwerpunkt im Lauf der Jahre mehr in Richtung Permakultur, Kurswesen und Hotellerie verlegt, aber nach wie vor spielt die Spiritualität eine grosse Rolle. Davon zeugt der «Tempel der Einheit» im Erdgeschoss eines alten Chalets, mit mehreren Altären verschiedener Religionen. Und davon zeugt das tempelähnliche Feuerzelt daneben, mit einem leicht angehobenen Bretterboden, einer Feuergrube und russiger Leinwand rund um den Rauchabzug. Gerade rezitiert eine Frau laut vernehmlich heilige Sprüche in Sanskrit, der alten Sakralsprache der Hindus. Eine andere Frau hört andächtig zu.
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Wenn hier noch immer Menschen gemeinsam religiöse Feste und Rituale zelebrieren, so knüpfen sie damit an die Entstehungsgeschichte der Schweibenalp an. Die Broschüre «Zentrum der Einheit Schweibenalp, eine Oase der Inspiration», die im Shop zu kaufen ist, gibt Auskunft. 1979 lernte der der Arzt und Psychotherapeut Sundar Robert Dreyfus den indischen Lehrer und Avatar Sri Haidakhan Babaji kennen und wurde bald zu einem seiner Schüler. Den Auftrag, in der Schweiz ein spirituelles Zentrum zu errichten, erhielt Dreyfus 1981. Ein Jahr später 1982 konnte eine zu diesem Zweck gegründete Stiftung die Schweibenalp kaufen.
Amma lebte neun Jahre hier
Der Betrieb und das Leben verliefen damals noch in grösster Einfachheit. Die interreligiöse Spiritualität und Friedensarbeit jedoch blühten: Die von ihrer Anhängerschaft als Heilige verehrte Inderin Amma kam und weilte neun Jahre auf der Schweibenalp, auch ein Sufimeister und ein Rabbi wirkten hier, zu den Gästen gehörten immer wieder auch andere geistliche Lehrerinnen und Lehrer.
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Wo steht die Schweibenalp heute, mit Blick auf das Permakultur-Projekt, das gerade angesichts der ökologischen Krise wichtige Impulse vermitteln kann? Dem «vollendeten Design» der Anlage komme immer wieder auch «das Leben» dazwischen, heisst es in der Broschüre. «Bis heute können wir einige Kreisläufe nicht schliessen, da bestimmte Elemente nicht erschaffen oder integriert sind, für die uns die Gelder fehlen oder einfach die Ressourcen, um für deren Unterhalt zu sorgen. Somit bleibt dieses Design im wachsenden und sich entfaltenden Prozess.»
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Ein alpiner Garten Eden