Ein Gotthelf wird versteigert
Für «den schönen Brief von Pfarrer Bitzius», wie ihn der Auktionator Peter Rapp nannte, lieferten sich die Interessenten im Auktionshaus Wil im Kanton St. Gallen am Dienstag ein kleines Bietergefecht. Die Auktion startete bei 500 Franken, schliesslich ging der Brief für 1125 Franken an den Meistbietenden. Der Käufer und die Herkunft des Briefes bleiben anonym. Jedoch nicht der Inhalt des versteigerten Briefes, den Pfarrer Albert Bitzius 1836 in seiner Funktion als Schulkommissär in Lützelflüh schrieb. In gewohnt markigen Worten schreibt er an den Statthalter von Burgdorf, Ludwig Fromm: «Sie haben es gerade wie schlechte Advokaten bei schlechten Händeln. Sie werden nicht müde mit Nebenhändeln, die Hauptsache aus den Augen zu drucken.»
Historisch, aber nicht aus der Zeit gefallen
Der historische Brief stösst auch deshalb auf Interesse, weil er zeigt, wie sich Albert Bitzius zeitlebens für den Aufbau und die Verbesserung des bernischen Schulwesens einsetzte. Schon früh interessierten ihn pädagogische Fragen. Auch wenn Bitzius nach dem Studium den Weg des Pfarrers einschlug, blieb die Erziehung sein zentrales Anliegen. So schrieb er über seine künftige Aufgabe: «Bildung des Menschen in der mir anvertrauten Gemeinde wird meine erste und einzige Pflicht sein.» Bitzius amtierte von 1832 bis 1854 als Pfarrer in Lützelflüh, wo er unter dem Schriftstellernamen Jeremias Gotthelf seine Werke schrieb, die ihn weit über die Schweiz hinaus bekannt machten.
Pädagogisch stand der umtriebige Pfarrer in der Tradition Johann Heinrich Pestalozzis, den er persönlich kannte. Bitzius Ansichten und Forderungen waren für die damalige Zeit modern, so setzte er sich beispielsweise für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ein und forderte Massnahmen gegen den Alkoholismus der Eltern, unter dem auch deren Kinder litten. Davon zeugt der heute noch vollständig erhaltene Faltbrief an den Statthalter von Burgdorf, in dem Bitzius Missstände im Schulwesen anprangert und für die siebzig Kinder ein besseres Schulzimmer fordert als «die elende Stube» oder «dass wenigstens die Familie Grossenbacher ihre Kinder ungends in die Schule schickt».
Erziehung fernab der Familie
In seiner kurzen Autobiographie bezeichnet sich Jeremias Gotthelf als wilden Buben, der in der Stadtschule wohl nicht so still sitzen konnte, wie es damals verlangt wurde. Obwohl ihm die Erziehung und die Kinder am Herzen lagen, schickte Albert Bitzius seine beiden Töchter zur Erziehung in Internate fernab der Familie und seinen Sohn ins Waisenhaus.
Nach 10 Jahren, in denen Albert Bitzius als Schulkommissär viele Konflikte mit den Behörden und Autoritäten ausfocht, entliess ihn die Regierung. Ruhiger wurde der Pfarrer aber nicht. Bitzius kämpfte auch gegen die Ausbeutung der Verdingkinder als billige Arbeitskräfte. Er kritisierte in seinen Schriften und in Zeitungsartikeln die herrschende Berner Oberschicht, die sich seiner Meinung nach zu wenig um die sozial Schwachen kümmerte. So politisch Jeremias Gotthelf in seinem bürgerlichen Leben als Albert Bitzius war, eine politische Tätigkeit blieb ihm aufgrund seines Pfarramtes verwehrt. Dass Bitzius Brief 200 Jahre später diese Summe erzielt, zeigt die Bedeutung Gotthelfs als engagierte Privatperson und Pfarrer. Ob der versteigerte Brief irgendwann der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, ist nicht bekannt.
Ein Gotthelf wird versteigert