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«Ein Jude, ein Moslem, ein Christ in einem Zug»

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23.05.2016
Zehn Jahre gibt es den Rat der Religionen. Mit einer Extra-Zugfahrt von St. Gallen nach Genf beging der Rat am Sonntag das Jubiläum. Eindrücke aus der Etappe von Zürich nach Bern, wo sich Filmemacher Rolf Lyssy und Fitness-Pionier Werner Kieser zu «ihrer» Religion äusserten.

Die Religionen in der Schweiz haben es offensichtlich mit dem Zugfahren. Nicht nur bei der Segnung des Gotthard-Basistunnels, sondern auch beim zehnjährigen Geburtstag des Rats der Religionen. Von St. Gallen nach Genf fuhr der Jubiläumszug, an Bord waren Repräsentanten des Rats, aber auch Prominente wie Miss Schweiz Lauriane Sallin oder Kulturschaffende wie Autor Lukas Hartmann. Organisiert hatte den Anlass die Berner Agentur Furrerhugi.

Der Zug mit den beiden modernen Salonwagen hielt um 14 Uhr im Zürcher Tiefbahnhof, und bald rauschte er auf einem Viadukt über das Zürcher Gleisfeld. Im vorderen Wagen verwandelte zuerst der Oud-Spieler Nehad El-Sayed den Zug in einen musikalischen Souk. Anschliessend befragte Pascal Krauthammer (er ist Berater bei Furrerhugi und Ex-Radio-Journalist) El-Sayed zu seiner religiösen Haltung. Der Musiker meinte lächelnd: «Religion ist, was wir machen, nicht was wir sagen. Religion sollte ein Weg zu Liebe und Respekt sein.»

Juden und Jesuiten
Der Zug pfeilte durch den Heitersbergtunnel, während Krauthammer den Jesuiten-Provinzial Christian Rutishauser zu den Parallelen von Jesuiten und Juden befragte. «Etliche 'conversos', also konvertierte Juden, standen am Anfang des Ordens im 16. Jahrhundert», so Rutishauser. Zudem seien Jesuiten wie Juden immer wieder eine verfolgte Minderheit gewesen. «Wir sind ein 'tragic couple', ein tragisches Paar, wie es an einem Kongress in Boston kürzlich hiess», sagte Rutishauser.

Von Lenzburg bis Aarau erzählte der Filmemacher Rolf Lyssy von seiner religiösen Prägung. Auf die Jesuiten bezogen meinte er: «In einen Orden eintreten – das hätte mir gerade noch gefehlt. Der Zölibat bringt mich nahe an den Wahnsinn.» Leben bestehe doch nicht nur aus Geist, sondern auch aus Fleisch und Blut.

«Ich erfinde den Übervater»
Bei seinem Film «Die Schweizermacher» sei die Migrationsthematik zum ersten Mal im Schweizer Kino dargestellt worden. Lyssys Anderssein, seine jüdische Herkunft, sei darin eingewoben. Heute bezeichnet er sich als «Atheisten jüdischer Herkunft». Und er komme so ganz gut durchs Leben. Religion sei für ihn eine geniale Erfindung von Moses: «Er dachte sich: Ich gehe auf einen Berg und erfinde den Übervater. Dann gehorchen sie mir vielleicht. So hat es sich abgespielt.» Lyssy erhielt für diese originelle Darstellung etliche Lacher aus dem Salonwagen.

Der Zug rollte nun gemächlich durch Aarau, und Krauthammer wandte sich dem Fitness-Pionier Werner Kieser zu. Dessen religiöse Seite war schnell erklärt: Es gibt sie nicht. Kieser, der Philosophie studiert hat, ist zwar in einem religiösen Haus aufgewachsen, aber nicht getauft. Er findet nicht nur Religion eine Phantasie, sondern auch Bewusstsein, Seele oder Geist, und ist sogar der Ansicht, die Psychiatrie sei die Bankrotterklärung der Medizin.

Fitness als Religion
Das Christentum habe aber gegenüber dem Atheismus enorme Vorzüge: «Es verspricht ewiges Leben. Als Materialist stehen Sie etwas arm da.» Allerdings würde dieses Heilsversprechen immer wieder als Herrschaftsinstrument genutzt.

Worauf Krauthammer fragte, ob Fitness und Bodybuilding nicht eine Ersatzreligion sei? Kieser verneinte: «Die Evolution hat kein Interesse, dass wir älter als 25 werden. Dank Fitness wird die restliche Zeit erträglich gemacht.»

Kirchenbundspräsident Gottfried Locher (er ist auch Präsident des Rats der Religionen) fand Kiesers Ausführungen interessant, war aber nicht ganz einverstanden. «Wenn ich mich in eine Ihrer Fitnessmaschinen klemme, dann ist eben doch ein Wille und ein Geist da, der etwas mit der Materie machen will.» Zudem sei die Materie vergänglich, ein Stuhl vergehe, aber die Idee des Stuhls nicht. Kieser entgegnete, das sei Platonismus, es gebe aber auch noch andere Philosophen als Platon.

«Andreas Thielo Sarrazin»
Locher wandte ein, dass man den Zug wohl bis Marseille verlängern müsste, um dieses religiös-philosophische Kolloquium zu Ende zu bringen. Materialismus gefalle ihm aber auch, «das Gute wird materiell, oder es ist nichts Gutes». Und auch Kiesers Hinweis, mit Fitness die Zeit erträglich zu machen, nahm er auf: «Wer schenkt denn diese zusätzliche Zeit? Das geht über Materie hinaus.»

Nach Olten erzählten drei weitere Gäste von ihrer religiösen Prägung: CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz, sowie Nicole Poëll, Präsidentin der Plattform Liberaler Juden der Schweiz.

Dann trat Slampoet Renato Kaiser auf, der sich Facebook und Religion zusammenreimte, das «Zölibad» des Papstes in der Menge würdigte und sich fragte, ob die Satire im Islam alles und sogar «Allah» darf. Auch die «Andreas Thielo Sarrazins» bekamen bei Kaiser ihr Fett weg.

Kurz vor der Hauptstadt beendete er seinen Slam mit den Zeilen: «Ein Jude, ein Moslem, ein Christ in einem Zug. Schauen wir mal, was dabei herauskommt.» Bis Bern jedenfalls war das Resultat durchaus hörens- und sehenswert. Religionen und Zugfahren scheint eine gute Mischung zu sein.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Matthias Böhni / ref.ch / 23. Mai 2016

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