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Ein kürzerer Weg in den Himmel

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17.01.2017
Werner Ryser schreibt historische Romane aus Sicht der kleinen Leute. Der ehemalige Sozialarbeiter will den Menschen eine Stimme geben, die in der Geschichte unter die Räder kamen. Sein neuestes Buch «Das Ketzerweib» handelt von der Täuferin Anna Jacob, die einen verzweifelten Kampf gegen die Obrigkeit führte.

Herr Ryser, in Ihrem Roman schildern Sie die Geschichte der Anna Jacob, die Ende des 17. Jahrhunderts von der Berner Obrigkeit aufgrund ihres Täufertums verfolgt, gefoltert und schliesslich verbannt wurde. Ist Anna Jacob eine historisch verbürgte Figur?
Sagen wir es so: Sie hat ein historisches Vorbild. Anna Jacob war eine Vorfahrin meiner Frau. Vor ein paar Jahren betrieben Verwandte meiner Frau Stammbaumforschung, und dabei stiessen sie auf die Steiners in Langnau. Anna Jacob war die Frau des Bauern Ueli Steiner, der in der Nähe von Langnau einen Hof hatte. Das war neun Generationen vor meiner Frau. Und von dieser Anna Jacob sind genau zwei Sätze überliefert. Das war der Ausgangspunkt meiner Recherchen.

Was waren das für Sätze?
Das waren Notizen aus dem Chorgerichtsmanual der Kirchgemeinde Langnau von 1692, einer wichtigen zeitgeschichtlichen Quelle für mein Buch. Darin heisst es über Anna Jacob: «Anna luffe in einer grossen Traurigkeit zu Caspar Lüthi zu Längenbach, dem Täufferlehrer, und ward alsbald von ihm verführet». Gemeint ist natürlich die Verführung zum Glauben. Und als Anna vom Pfarrer gefragt wurde, warum sie nicht mehr in der Kirche erscheine, antwortete sie, sie habe als Täuferin einen kürzeren Weg in den Himmel gefunden. Diese beiden Aussagen haben mich fasziniert, ich stellte mir Anna Jacob als aufmüpfige und freche Person vor, die für die Freiheit ihres Glaubens einstand.

Ein Buch über Glaubensstärke also?
Ja, wobei Anna Jacob ja auch eine Zweiflerin war. Sie war keine fanatische Täuferin. Sie hatte aber diesen unbedingten Anspruch zu glauben, was sie wollte, und sich den rechten Glauben von niemandem aufzwingen zu lassen. In meinem Roman geht es vor allem um dieses Recht des Individuums, frei zu sein. Staat und Kirche bildeten damals eine unheilige Allianz, die solche Bestrebungen brutal unterdrückte.

Als besonderes Scheusal erscheint in Ihrem Buch der reformierte Pfarrer Moosberger, der Anna missbraucht und bei der Obrigkeit anschwärzt. Gab es den Mann wirklich?
Moosberger hatte ein historisches Vorbild, den damaligen Pfarrer von Langnau, Franz Ludwig Moschard. Am Anfang nannte ich ihn auch direkt beim Namen, aber dann merkte ich beim Schreiben, dass er mir vielleicht doch etwas negativ geraten war. Ich sagte mir: Was mache ich, wenn ich einmal in den Himmel komme, und da steht Pfarrer Moschard? Also wurde Moschard zu Moosberger.

Im Kern ist die Figur aber dennoch authentisch?
Ja, es ist belegt, dass der damalige Pfarrer von Langnau die Täufer in Bern anschwärzte. Überhaupt war die Verbindung von Kirche und Staat im 17. Jahrhundert für die Täufer fatal. Die Pfarrer wurden ja direkt von der Obrigkeit eingesetzt, nicht nur in Bern. In Basel etwa wurden die zweit- und drittgeborenen Söhne der Patrizier als Pfarrer aufs Land geschickt. Und die haben dann ihre Schäflein auch bei der Obrigkeit verpfiffen. Staatskirche hiess damals: Der liebe Gott war eine Art Oberschultheiss und immer der gleichen Meinung wie die Obrigkeit.

Die Bestrafung der Täufer reichte von der Folter über die Verbannung bis zur Versklavung auf venezianischen Galeeren. Woher kam diese Angst vor den Täufern?
Man hat lange geglaubt, dass Täufertum und Bauernaufstände irgendwie zusammenhingen. Das war eine Fehlinterpretation, denn die Täufer hatten sich ja selbst verboten, zur Waffe zu greifen. Was die Obrigkeit brüskierte, war vielmehr die Tatsache, dass die Täufer den Treueeid verweigerten. Sie bezogen sich da auf das Bibelwort «Du sollst nicht schwören». Auch verweigerten sie den Kriegsdienst und lehnten die Todesstrafe ab.

Welche Rolle spielte die Erwachsenentaufe?
Die Erwachsenentaufe war für die Obrigkeit nicht gefährlich. Das war eher ein Vorwand. Zwingli hatte sie am Anfang ja selbst noch befürwortet.

Sie selbst haben einen pietistischen Hintergrund. Was hat der Roman mit ihrer eigenen Geschichte zu tun?
Ich wuchs in einem Umfeld auf, in dem ganz klar vorgegeben war, was Gott will. Und in dem die Schrift sehr wörtlich genommen wurde. Die Freiheit, zweifeln zu dürfen und Fragen zu stellen, musste ich mir auch erst erkämpfen. Das verbindet mich vielleicht mit Anna Jacob.

Die positiven Figuren in Ihren Romanen sind Bauern, Mägde oder Kräuterfrauen. Woher dieses Flair für die kleinen Leute?
Das hängt wohl auch mit meiner Biographie zusammen. Ich war lange Sozialarbeiter, leitete ein Heim für jugendliche Drogenabhängige und war später für Pro Senectute tätig. Ja, mich hat die Geschichte des kleinen Dicken immer mehr interessiert als die Sicht der Mächtigen.

Heimito Nollé / ref.ch / 17. Januar 2016

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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