Ein moderner Ablasshandel?
So lautet ein Auszug aus einem Brief, den mir Mutter Erde geschrieben hat. Ich bin nur die Überbringerin, nur das Sprachrohr, quasi die Uriella für Arme. Und statt in ein jungfräulich weisses Brautkleid bin ich in schwarzen Stoff gehüllt. Anlass zur Trauer gibt es genug. Mit jedem Urnengang beerdigen wir ein bisschen des christlich-solidarischen Gedankens in der Schweiz.
Spenden mögen die wohlhabenden Eidgenossen und die reichen Schweizerinnen gerne. Sie suchen Gelder für die Umwelt, sie sammeln für Einsame, sie tummeln sich an Galas für Tümmler und Wale. Nur bei den Wahlen sind sie nicht mehr ganz so grosszügig. Da wird gewählt, wer den Erhalt des Reichtums verspricht. Da wird so abgestimmt, dass das Geld in der eigenen Kasse sich vermehrt.
Dabei wäre es doch der allerletzte Urnengang, der eigene Tod, welcher die grösste Spende ermöglichen würde. Das Erbe könnte direkt als Steuer für das Allgemeinwohl eingesetzt werden. Gegen hohe Erbschaftssteuern stimmen allerdings zuverlässig jene, welche sich gerne als grosse Spender und Stifterinnen inszenieren. Ginge es nur ums erkaufte Seelenheil, würde es reichen, viele Steuern zu zahlen. Wäre nur der Ablass der Sünden nach dem Ableben erwünscht, könnte man sich für ein progressives Steuersystem einsetzen: Reiche finanzieren einen starken Sozialstaat.
Doch Spenden sind so viel lohnender als Steuern. Steuern bezahlt man selbst, bei Spenden sind Sammelaktionen gang und gäbe. Sogenannte Graswurzel-Bewegungen, die nicht von oben vorgegeben sind, sondern vermeintlich von unten nach oben wachsen wie Gras. Deshalb heisst es wohl Kraut-Fönding. Mit Steuern kann man keinen Wahlkampf betreiben. Mit Spenden schon. Wegen der Steuern veranstaltet man keine Galaabende. Mit Steuern kann man sich kein Denkmal setzen. Bei Steuern hat man keinen direkten Einfluss auf die Verwendung. Steuern lassen sich nicht von der Steuer abziehen. Steuern sind sozialdemokratisch. Die Spende ist buchstäblich das SP-Ende.
Spenden sind also nicht der moderne Ablass, sondern sehr viel mehr. Denn der Ablass zielte auf das Leben nach dem Tod. Wer ihn zahlte, wollte in den Himmel kommen. Wer ihn zahlte, hatte auch nicht den Anspruch, die diesseitige Welt besser zu machen. Das Jenseits genügte. Zumal man mit den Ablasszahlungen Kirchen finanzierte statt Krankenhäuser, den Papst statt das Proletariat.
Heute will man alles, und man will es jetzt. Eine Win-win-Situation. Die Beruhigung des Gewissens ist schon beinahe ein Nebeneffekt der Imagepflege und Steueroptimierung. Doch etwas hat sich seit dem Spätmittelalter nicht geändert: Wenn man es sich genug einredet, glaubt man tatsächlich selbst, etwas Gutes zu tun. Hauptsache, die Erbschaftssteuer kann verhindert werden. Wer auch gegen höhere Steuern für Reiche kämpft, ist herzlich eingeladen, für den Wahlkampf zu spenden. Steuerfrei. Absolution hingegen gibt es nicht, weder von der Kirche noch von Mutter Erde.
Ein moderner Ablasshandel?