Ein Ort, der die Herzen anspricht
Seit 2011 existiert in Riehen bei Basel die Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge, die von 1933 bis 1945 an den Schweizer Grenzen abgewiesen und damit zumeist in den sicheren Tod geschickt wurden. Sie ist die einzige ihrer Art in der Schweiz. Der ehemalige Pfarrer und heutige Unternehmensberater Johannes Czwalina initiierte die Gedenkstätte und leitet sie auch.
60'000 Besucherinnen und Besucher kamen in den ersten zehn Jahren bis zur Coronapandemie. Die Gedenkstätte entspreche in einer Zeit des wachsenden Antisemitismus einem Bedürfnis, sagt Czwalina, es brauche weitere solche Erinnerungsorte.
Historischer Ort an der Grenze
Das historische Bahnwärterhäuschen in Riehen an der deutschen Grenze, wo die Gedenkstätte beheimatet ist, eignet sich besonders als Erinnerungsort. Neben der symbolischen Bedeutung lässt sich hier dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte während des Zweiten Weltkriegs auch emotional erleben, wenn man die Wege der Flüchtlinge begeht und die Berichte der Zeitzeugen liest. Zu Gast waren etwa der KZ-Überlebende Shlomo Graber wie auch Cioma Schönhaus, der für jüdische Flüchtlinge Pässe fälschte.
Die Ereignisse im Grenzort Riehen und in der Region stehen stellvertretend für die damalige Flüchtlingspolitik der Schweiz. Über 24'000 Menschen wiesen die Behörden an der Schweizer Grenze weg. Dazu lehnten sie 14'500 Einreisegesuche ab. Wer das Glück hatte, in der Schweiz Aufnahme zu finden, wurde in Lagern und Heimen interniert, etwa im Heim Bienenberg bei Liestal.
Zehn Jahre lang begleitet
Susanne Scheiner begleitete Johannes Czwalina von 2013 bis 2022 und drehte den Film «Johannes und seine Gedenkstätte». Der Film zeigt, wie der Erinnerungsort entstanden ist und was für Ausstellungen und Veranstaltungen ihr Gründer dort organisiert. Den Film versteht Johannes Czwalina als Zeichen der Anerkennung für seine Gedenkstätte. Vor kurzem luden die Christlich-jüdischen Projekte (CJP) zusammen mit dem Forum für Zeitfragen zur Filmpremiere samt Podium im Zwinglihaus Basel ein.
Johannes Czwalina wuchs in Berlin auf, in einem Haus, das einst einer jüdischen Familie gehörte, die enteignet und vertrieben wurde. Als er dies erfahren habe, habe ihn eine Trauer erfasst, sagt er im Film. So auch als ihm bewusst geworden sei, dass sein Sohn wegen seiner psychischen Erkrankung von den Nazis umgebracht worden wäre. Diese Trauer habe ihn dazu getrieben, die Gedenkstätte zu gründen, damit er wieder leben könne. Es sind solche persönlichen Aussagen des 70-Jährigen, die beeindrucken.
Die Zukunft der Gedenkstätte
Nun macht sich Czwalina Gedanken über die Zukunft seines Herzensprojekts. Wer führt es nach ihm weiter? Weder der Bund noch der Kanton Basel-Stadt noch die Gemeinde Riehen unterstützen die Gedenkstätte finanziell. Die Gäste beim anschliessenden Podium erklärten, warum. Die Riehener Gemeindepräsidentin Christine Kaufmann betonte, dass man die Arbeit der Gedenkstätte anerkenne. Doch die Gemeinde, die sich seit Jahrzehnten mit ihrer Kriegsgeschichte auseinandersetze, betreibe eigene Projekte. Die private Gedenkstätte bilde dazu eine Ergänzung.
Fabienne Meyer, Historikerin und Spezialistin Gedenkstätten Schweiz, erklärte, warum Riehen nicht der richtige Ort für eine nationale Gedenkstätte sei. Das Bahnwärterhäuschen sei mit dem Ort verwurzelt, an dem es steht. Ein schweizerisches Memorial müsse sich von der Region losgelöst an einem repräsentativen Ort wie Bern befinden, weil es eine andere Bedeutung habe. Es gehe um staatliche Erinnerung, um die politische Verantwortung für die Entscheidungen, die während des Krieges in Bern getroffen wurden.
Wissenschaft gegen Emotionen
Auf Distanz zur Gedenkstätte in Riehen ging anfangs auch das Zentrum für Jüdische Studien an der Universität Basel. Es gab Vorbehalte aus historisch-wissenschaftlicher Sicht. Inzwischen haben Erik Petry, stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien, und Johannes Czwalina Gespräche geführt, und es bahnt sich eine Zusammenarbeit an. Petry erklärte, dass die Gedenkstätte als Teil einer regionalen Erinnerungsarbeit einen konkreten Ort wie das alte Bahnwärterhaus brauche. Das Zentrum für Jüdische Studien möchte in Zukunft die Kompetenz seiner wissenschaftlichen Forschung einbringen, indem es die akademische Leitung der Gedenkstätte übernimmt.
Der Konflikt habe sie nie interessiert, meinte Filmemacherin Susanne Scheiner. «Für mich ist die Gedenkstätte wichtig. Wir wollten zeigen, dass es einen Ort braucht, wo die Leute einfach hineingehen können, damit sie überhaupt auf diese Vergangenheit stossen. Es braucht neben dem Intellektuellen auch die Emotionen.»
Karin Müller, kirchenbote-online
Ein Ort, der die Herzen anspricht