Ein Raum der Stille für fünf Religionen
Den Weg zur neuen Winterthurer Spitalkirche weist eine auf einem Kissen sitzende Figur in kniender Gebetshaltung. Das Piktogramm könnte auch eine Buddhistin oder ein Hindu sein. Fünf runde Scheiben mit den Emblemen der Weltreligionen im Untergeschoss des neuen Haupttraktes zeigen an, dass man am Ziel ist: Stern, Kreuz, Halbmond, Rad und das Om der Hindus. Öffnet man die schwere Eingangstüre aus Nussbaumholz, tut sich ein von oben künstlich beleuchteter, bestuhlter Raum auf, der auf den ersten Blick genausogut als Seminarraum durchgehen könnte. Wären da nicht die Blumen und die Kunst.
Figuren und Bilder
In die linke Wand eingearbeitet ist das Kunstwerk von Yves Netzhammer, es zieht sich von hier im Untergeschoss bis in den 3. Stock hinauf. In die weisse Wand eingelassene geschwungene Linien deuten natürliche Formen an, zwei Tiere und ein sich in die Höhe reckender Mensch sind zu erkennen: «Der Anteil Körper am Selbst» hat Netzhammer sein Projekt genannt. Die eingravierten Zeichen erinnern an Puzzleteilchen. In der Mitte der Wand ist eine metallene Halterung für Rechaud-Kerzen angebracht, um die Ecke liegt ein Besucherbuch auf.
An der Wand gegenüber steht eine kleine Bronzefigur, der «Lazarus» von Thomas Lehnerer. Er steht für den «Homo Pauper», den armen, kranken Menschen, der seine Brüchigkeit und Verletzlichkeit am eigenen Leib erfährt. Der Lazarus stand auch schon in der alten Spitalkirche neben der Radiologieabteilung. Auch das Altarbild wurde gezügelt, an den Seiten verkürzt und vom Künstler Hans Thomann für diesen Ort überarbeitet. Es heisst «Kontakt» und in die quadratischen blauen Felder aus transparentem Kunststoff sind Darstellungen von Händen eingearbeitet: Nahaufnahmen von Fingern, die geben, operieren, streicheln, beten. Thomann hat sein Werk links und rechts mit Gold umrahmt, in seiner heutigen Dreiteilung erinnert es an einen Triptychon; im Zentrum liegen die zwischenmenschlichen Kontakte, die Berührungen, das Lichte, die Hoffnung.
Sieben Jahre diskutiert
Dass die bestehende Winterthurer Spitalkirche dem Neubau weichen muss, stand seit langem fest, dass es auch im neuen Betten- und Operationstrakt einen Kirchenraum geben wird, war hingegen lange heiss diskutiert. Sieben Jahre lang nahmen die Seelsorger an Sitzungen unterschiedlichster Kommissionen teil. Es ging um die Nutzung, Signaletik, architektonische Fragen, Kunst am Bau und nicht zuletzt auch um die Finanzierung und den Verteilschlüssel. «Wir mussten uns sehr für die heutige Lösung engagieren», sagt Axel Fabian, der als reformierter Pfarrer gemeinsam mit Michael Eismann, das ökumenische Seelsorgeteam am KSW leitet.
Mit dem Resultat – einer Spitalkirche, die zugleich ein Raum der Stille für sämtliche Religionen ist – ist Fabian sehr zufrieden. Es handle sich dabei nicht nur um einen architektonisch interessanten, auch für den Spital repräsentativen Vorzeige-Raum, sondern eben auch um einen Ort der Ruhe in einem hochtechnischen, ständig pulsierenden Umfeld: «ein Raum, in dem nichts läuft, einer, der im Gegensatz zu allen anderen im Haus, keine spezielle Funktion hat». Und eben das sei seine Funktion: «Hier kann man für sich sein, wenigstens für einen Augenblick, ohne selbst eine Funktion erfüllen zu müssen.» Der Raum der Stille steht rund um die Uhr offen und bereits nach wenigen Tagen zeigt sich: Er wird auch vom Spitalpersonal gern für eine Pause genutzt.
Rückzugsort für alle
Bevor der Rückzugsort von Angehörigen verschiedener Religionen in Beschlag genommen werden konnte, galt es allerdings einige kontroverse Fragestellungen zu beantworten – und das Ringen um Antworten hält teilweise an. Etwa: Was macht einen Kirchenraum aus? Und wie viel Kirche darf ein interreligiöser Raum überhaupt sein? Sind Kreuze oder eine Osterkerze schon zu viel christliche Symbolik? Pikantes Detail: Engagierte Handwerker haben an den hölzernen Türen aus braunem Nussbaum dezente Metallkreuze eingesetzt, damit man die Kirche als solche auch von aussen erkenne, was aber bei der Spitaldirektion für Gesprächsstoff sorgt.
Axel Fabian, der früher Dorf-Pfarrer im Appenzellischen war, leitet die Spitalkirche seit sechs Jahren. Dass es ihn und sein Team braucht, davon ist er absolut überzeugt. Auch wenn ein Teil seiner Arbeit im «Klinkenputzen» besteht und er nicht bei allen Patienten willkommen ist. Im Gegensatz zu den Ärzten und Pflegenden ist er verzichtbar – und genau das sei ein Teil seiner Aufgabe: «Mich kann man vor die Tür setzen, wenn man vor lauter Krankheit und Behandlungen genug hat und seine Ruhe will. Und ich werde garantiert keinen Bericht schreiben.»
Die Spitalseelsorgenden des KSW haben die feierliche Einweihung der neuen Spitalkirche bewusst auf den «Tag der Kranken» am 6. März gelegt, um das Verbindende zwischen den Menschen aller Religionen zu betonen, allen kulturellen Unterschieden im Umgang mit Krankheit zum Trotz. An der interreligiösen Zeremonie nahmen Vertreterinnen und Vertreter der fünf Weltreligionen teil: Buddhisten, Christinnen, Hinduisten, Muslime, Juden segneten die Kirche in einem gemeinsamen Akt ein und setzten so ein Zeichen für ein friedliches Zusammenleben aller Religionsgemeinschaften.
«Die Aufgabe des Menschseins»
Rabbiner Kurt Nordmann sagte, es brauche solche Räume der Stille, um darüber nachzudenken, wie man «die Aufgabe des Menschseins» besser erfüllen könne. Der Leiter der jüdischen Gemeinde Winterthur bedankte sich bei allen Mitarbeitenden des Spitals und überreichte einen gerahmten Segen für das medizinische Personal. Christina Huppenbauer, Leiterin der kantonalen Spezialseelsorge und ihre katholische Kollegin Sabine Zgraggen steuerten ein Räucherritual und Gebete bei.
Das Konstante ist der Wandel und so will auch die Winterthurer Spitalseelsorge mit der Zeit gehen. Die interreligiöse Eröffnungsfeier soll keine Alltagsfliege sein, die Einsegnung als interreligiöser Raum kein blosses Lippenbekenntnis. Axel Fabian und sein katholischer Amtskollege Michael Eismann stellten an der Eröffnung klar, dass diese interreligiöse Feier der Startschuss zu einer verstärkten interreligiösen Zusammenarbeit sein soll.
Fabian will die Spitalkirche öffnen – für christlich-spirituelle Heilmethoden und Heilerinnen und Heiler und ihre Rituale genauso wie für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Religionen. So setzt er sich beispielsweise dafür ein, dass auch muslimische Seelsorger zu fixen Zeiten am Spital vor Ort sind, nicht nur bei Bedarf und auf Wunsch von Patienten. «In der Gefängnisseelsorge oder in den Asylzentren ist man weiter, was die interreligiöse Zusammenarbeit anbelangt», sagt Fabian.
Spirituelle Betreuung ist wichtig
Und manchmal trägt sein Engagement «in vielen guten Gesprächen» auch Früchte. Der Spitaldirektor Rolf Zehnder betonte am Eröffnungstag, wie wichtig es sei, Patientinnen und Patienten auch spirituell zu betreuen und bedankte sich bei den Landeskirchen für ihre seelsorgerische und finanzielle Unterstützung. Dank ihr stehe die neue Spitalkirche Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Glaubensgemeinschaften offen.
Christian Kaiser, reformiert.info
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