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«Ein Tattoo des Universums»

von Sandra Hohendahl-Tesch
min
05.06.2023
Das Steinlabyrinth beim Zürcher Grossmünster ist ein Werk von Frauen für Frauen. In den 90er Jahren wurde es von unerwarteter Seite verhindert, wie eine der Initiantinnen erzählt.

Wer am Grossmünster vorbeigeht, kann es kaum übersehen: Das Steinlabyrinth in klassisch kretischer Form, das seit einigen Wochen beim Grossmünsterplatz mit weissen Pflastersteinen in den Boden eingelassen ist. Neben seiner Ästhetik hat es eine starke gesellschaftspolitische Dimension, eine Message, die es transportiert. Es steht für das Engagement der Frauen um Gleichberechtigung. 32 Jahre Geduld brauchte es, bis das Denkmal realisiert und am 21. März 2023 eingeweiht werden konnte.

«Ein Labyrinth ist ein Symbol der Weiblichkeit, eine Wiege von Sonne und Mond, die hin und hergeht», sagt Anna Leiser, die sich in den letzten zwei Jahren intensiv für das Projekt eingesetzt hat. «Es gibt zahlreichen Herrenplätze, Herrenwege, aber keinen einzigen Frauenplatz in der Stadt Zürich: Das wollten wir ändern», erzählt die 68-Jährige. Sie erinnert sich, alles begann anno 1991: Im Rahmen der Jubiläumsfeier 700 Jahre Eidgenossenschaft reichte eine Gruppe Frauen für den Wettbewerb «Zürich morgen» ihr Projekt ein: Ein Pflanzen- und ein Steinlabyrinth, mit dem Ziel, neue Begegnungs- und Umgangsformen im öffentlichen Raum zu praktizieren und zu kultivieren. Das Projekt wurde prämiert. Aber nur zur Hälfte realisiert.

 

Mit Beethoven gegen Frauen

Während das Pflanzenlabyrinth seit nunmehr 30 Jahren fester Bestandteil der Zürcher Kulturszene ist, wurde das Steinlabyrinth beim Grossmünster verhindert. Der damalige Grossmünster-Pfarrer habe sich nicht damit anfreunden können. Vielleicht weil er es als «heidnisches Symbol» deutete, mutmasst Leiser. Oder einfach, weil in der damaligen Zeit, zu Beginn der Frauenbewegung, so viele Frauen auf einem Haufen den Männern schlicht Angst machten: «Mit einer Symphonie von Beethoven, die zum Fenster raus dröhnte, wollte der Pfarrer die Frauen vertreiben, als sie auf dem Platz zusammenkamen.»

Jahrzehnte wurde es still um das auf Eis gelegte Projekt. Die Gründerfrauen, Rosmarie Schmid, Agnes Barmettler, Cornelia Weber, kümmerten sich um das Pflanzenlabyrinth auf dem Kasernenareal. Dieses war damals noch ein «Schandfleck», erzählt Leiser. Drogensüchtige und Prostituierte tummelten sich dort, wo heute eine grüne Oase im multikulturellen Kreis 4 steht. Die Labyrinthfrauen harrten trotzdem aus: «Sie leisteten viel soziale Arbeit. Alle kamen gerne vorbei. Denn ein Garten, ein Baum, eine Pflanze gibt immer Hoffnung.» Heute finden im lauschigen Pflanzenlabyrinth Konzerte, Tanzveranstaltungen und offenes Gärtnern statt.

 

Versöhnung nach 30 Jahren

Im Sommer 2021, just zum 30-jährigen Jubiläum Pflanzenlabyrinth und zum 50-jährigen Jubiläum Frauenstimmrecht, starteten die Labyrinthfrauen einen neuen Versuch. Es gab ja noch eine offene Rechnung: Das Steinlabyrinth Grossmünster. Leiser suchte das Gespräch mit der Stadt Zürich und der Kirche. Beim heutigen Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist rannte sie offene Türen ein. Es kam zu einem Rehabilitationsgespräch, im Namen der Kirche habe sich Sigrist entschuldigt. Zum Thema Versöhnung fanden laut Leiser «interessante und klärende Gespräche statt. Im Dezember 2022 erhielten die Frauen grünes Licht zur Errichtung des Denkmals, «das allen Frauen und ihrem Engagement für die Gesellschaft» gewidmet ist.

Es steht jetzt genau dort, wo es ursprünglich auch geplant war. Ein idealer Standort, findet Leiser: Zwingli habe schliesslich eine starke Frau an seiner Seite gehabt, ohne die er seine Reformen nicht durchgebracht hätte. Ausserdem habe man Blick auf das Fraumünster, wo die letzte Äbtissin Katharina von Zimmern für Frieden auf Stadtgebiet sorgte. In der indianischen Kultur der Hopi symbolisiert das Labyrinth die Mutter und Mutter-Erde, erklärt Leiser: Man wird aus ihr geboren und geht in sie zurück. So stehe es für weibliche Achtsamkeit und die Bereitschaft, immer wieder neue Wendungen zu nehmen, die das Leben bereithält.

Veranstaltungen werden keine stattfinden. Jede und jeder könne das Steinlabyrinth für sich nutzen und frei bespielen. Informationen zur bewegten Geschichte liefert ein QR-Code. Das Labyrinth der Aktivistinnen soll auch in die Stadtführungen aufgenommen werden. «Es ist ein Tattoo des Universums auf Stadtboden», sagt Leiser. «Jemand geht vielleicht mit einer Frage rein und mit einer Antwort raus in die Welt.»

 

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