Eine Brücke über konfessionelle und politische Grenzen
Der Dank-, Buss- und Bettag hat eine lange Tradition. Mit der Gründung des Schweizer Bundesstaates 1848 hat der Feiertag zusätzlich an staatspolitischer Bedeutung gewonnen. Denn der Gründung der modernen Schweiz war ein Bürgerkrieg zwischen politischen und konfessionellen Lagern vorausgegangen. Am Dank-, Buss- und Bettag begründen wir jedes Jahr aufs Neue die gegenseitige politische und konfessionelle – oder schlicht: die menschliche – Toleranz. Dieser Tag ist eine Brücke, die über konfessionelle, politische und soziale Grenzen hinwegführt.
Solidarität, Respekt vor Andersdenkenden, das Sichbesinnen auf das Gemeinsame: Diese Werte des Dank-, Buss- und Bettags sind aktueller und nötiger denn je – in einer Welt, die immer polarisierter wird und in der das Verständnis für andere Meinungen und unterschiedliche Werte abnimmt. Blickt man heute in die sogenannt sozialen Medien, zeigt sich das exemplarisch. Oft geht es um Schwarz oder Weiss, unterstützt von einer Vielzahl von Followerinnen und Followern. Es wird eskaliert, angeprangert, diffamiert. Dies erinnert mich oft mehr an einen Kampf als an eine Diskussion. Der Raum für Grautöne oder für Meinungswechsel wird kleiner. Und damit auch der Raum für Verständigung und Annäherung.
Diese Entwicklung ist gerade für die Schweiz, deren Kultur auf Konkordanz und Kompromissen beruht, heikel. Die Geschichte des Dank-, Buss- und Bettags erinnert uns daran, dass wir offen und neugierig auf Menschen mit anderen Werten und Meinungen zugehen sollten. Und dass wir davon ausgehen können, dass auch Menschen mit einer anderen Meinung grundsätzlich gute Absichten haben. Das ist nicht immer einfach, das weiss ich aus eigener Erfahrung, aber notwendig.
Eine Diskussion wird immer dann einen Mehrwert bringen, wenn die Teilnehmenden bereit sind, sich auf andere Meinungen einzulassen – und vielleicht auch die eigene Haltung zu revidieren. Die Voraussetzung dafür ist das Reflektieren des eigenen Verhaltens. Und die Erkenntnis, dass wir alle auch Fehler machen. Das Scheitern gehört zum Leben dazu. Nicht umsonst kennen wir die Redensart: «Aus Fehlern wird man klug.» Dank Fehlern und Misserfolgen lernen wir und können uns weiterentwickeln.
Angesichts der heutigen Leistungsgesellschaft mit permanenter Selbstoptimierung stellt sich die Frage: Haben wir wirklich noch Verständnis für Misserfolge und Fehler? Oder für Brüche in Biografien? Ich hoffe es. Denn gerade das Verständnis für Misserfolge und das Eingestehen der eigenen Fehler sind die Grundlage für Solidarität und Toleranz. Also für zentrale Werte des politischen und konfessionellen Zusammenlebens. Für Werte, die nicht nur am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag im Zentrum stehen sollten, sondern auch an den 364 anderen Tagen im Jahr.
Eine Brücke über konfessionelle und politische Grenzen