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Eine glückliche Mischehe

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04.08.2016
Die Stadt St. Gallen hat viel mehr zu bieten als Bratwürste und den Stiftsbezirk. Zum Beispiel eine reformierte Erfolgsgeschichte, deren Spuren vom Vadiandenkmal über die neugotische Sankt-Laurenzen-Kirche bis zur Universität St. Gallen sichtbar sind. Ein Ausflug in die reformiert-katholische Reformationsstadt St. Gallen.

Die Stadt St. Gallen mit knapp 80'000 Einwohnern erinnert sich gerne an ihre vergangene Grösse. Damals, in der Stickereiblüte vor rund hundert Jahren, fuhren Direktzüge nach Paris und Berlin und es entstanden heute das Stadtbild prägende Bauten. Der Börsencrash 1929 war das definitive Ende der St. Galler-Weltstadt-Träume, und diese Kränkung holt sie bis heute ab und zu ein. Die Stadt «im grünen Ring», wie sie sich nennt, hat aber keinen Anlass für Selbstzweifel. Westlich von Winterthur kennt man St. Gallen meist aufgrund der Olma, dem Weltkulturerbe-Stiftsbezirk und der Bratwurst. Mit dem Reformationsjubiläum, für das Kirche und Staat 2,2 Millionen Franken ausgeben, kommt nun das reformierte St. Gallen in den Blick.

Reformationsweg durch die Stadt
Das heutige St. Gallen ist eigentlich ein Kind einer Mischehe. Der Mönch Gallus zieht im 7. Jahrhundert in eine Wildnisklause im Steinachtal. Daraus entstehen Kloster und Stiftsbezirk und eine emporstrebende Stadt St. Gallen. Mit der Reformation emanzipiert sich die Stadt vom Kloster. Fortan leben Reformierte und Katholiken auf engstem Raum, getrennt durch eine Schiedmauer, zusammen.

500 Jahre nach der Reformation sind die Konfessionsstreitigkeiten aber längst vorbei: Die Kirchen sind heute ökumenisch-friedlich gesinnt. An der Spitze der Ortsbürgergemeinde, der Rechtsnachfolgerin der reformierten Stadtrepublik, steht seit einigen Jahren ein Katholik. Aber auch die Reformierten sind politisch vertreten: Die Familiengeschichte von Stadtpräsident Thomas Scheitlin führt in die Reformation zurück.

Das reformierte St. Gallen ist sehr gut auf dem Reformationsweg, der als Flyer und ab Herbst 2016 als App erhältlich ist, zu entdecken. Wer vom Bahnhof kommt, macht einen kleinen Umweg über den «roten Platz» von Pipilotti Rist und steuert dann die Sankt-Laurenzen-Kirche an. In der reformierten Stadtkirche nahm Bürgermeister und Reformator Vadian an Ostern 1527 als erster das reformierte Abendmahl. Ihre neugotische Gestalt mit dem auffallend farbenfröhlichen Innenraum hat sie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und mit 74 Metern überragt ihre Spitze die Doppeltürme der Kathedrale um sechs Meter. In der Regel ist eine Turmbesteigung mitsamt dem imposanten Blick auf das in einem Ost-West-Hochtal 670 Meter über Meer gelegene St. Gallen um 10 Uhr und um 15 Uhr möglich. Danach lohnt es sich, einen Blick auf die nahegelegenen Reste der Schiedmauer und den Stiftsbezirk zu werfen.

Ein Reformator, «stolz und kühn»
Von St. Laurenzen schlendert man zum Vadiandenkmal. 3,75 Meter gross blickt er «stolz und stark und kühn», wie bei seiner Einweihung 1904 vermerkt, in Richtung von St. Laurenzen und Kathedrale. Den «Vadian» kennt man heute als Treffpunkt. Zum Zeitpunkt der Errichtung hatte er identitätsbildende Funktion für die Reformierten. Dies insbesondere in Abgrenzung gegen die Katholiken, die den Vadian-Blick in Richtung Stiftsbezirk vereinzelt als «Affront» empfanden und an der Einweihung nicht erwünscht waren. Ein Rundgang durch die nördliche Altstadt mit dem ehemaligen Kloster St. Katharinen und der Kirche St. Mangen, die eine ökumenisch genutzte «Kirche der Stille» werden soll, runden die Reformations-Tour ab. Eine Olma-Bratwurst hilft beim Verdauen der Eindrücke.

Protestantische Arbeitsethik der Textilkaufleute
Der reformierte Geist lebt zudem in Wirtschaft, Bildung und Kultur weiter. Wie andernorts führte auch in St. Gallen die protestantische Arbeitsethik zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, insbesondere aufgrund hugenottischer Flüchtlinge. Die Produktion und der Handel mit Leinwand, Baumwolle und später der Stickerei sind ohne den reformierten Fleiss nicht denkbar. Die St. Galler Kaufleute schlossen sich zum «Kaufmännischen Directorium», der heutigen Industrie- und Handelskammer, zusammen. Diese wollten ihren Nachwuchs im Welthandel schulen und gründete zusammen mit der Stadt 1898 die «Handels-Hochschule», Vorläufer der heutigen Universität St. Gallen. Und die Kantonsbibliothek in der ehemaligen Hauptpost beim Bahnhof hat ihre Wurzeln in der Privatbibliothek von Vadian. Auch in der Bachstiftung steckt reformierter Geist: Mäzen Konrad Hummler, der nach dem Ende der Bank Wegelin bei Bach Trost findet, ist im reformierten St. Gallen aufgewachsen und steigt ab und zu als Gastprediger auf eine Kanzel.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Daniel Klingenberg / Kirchenbote / 5. August 2016

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