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Weltgebetstag

Eine neue, gemeinsame Geschichte schreiben

von Mirjam Messerli/reformiert.info
min
16.02.2024
Wie ist Frieden zwischen Israelis und Palästinensern möglich? Nur mit neuen Regierungen und gleichen Rechten für alle, sagen Shelley Berlowitz und Elham Manea.

Was für eine gewaltige Frage! «Wie ist Frieden im Nahen Osten möglich?» Zwei Frauen stehen vor knapp 100 Gästen in der Berner Friedenskirche und sollen darauf Antworten geben.

Die eine: Shelley Berlowitz, Historikerin, Mitglied im Verein «Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina», geboren in Tel Aviv und aufgewachsen in der Schweiz. Die andere: Elham Manea, Titularprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, international tätig in der Friedensförderung, engagiert für einen humanistischen Islam, geboren in Ägypten.

Da stehen sie also, die beiden Frauen, eingeladen von den reformierten Kirchgemeinden Frieden, Heiliggeist, Nydegg und Petrus, und müssen bei der ersten Frage trotz der Schwere des Themas beide lachen. Sie sollen den Nahost-Konflikt dem Publikum «kurz» erklären. Seinen Ursprung, und weshalb sich die Fronten zwischen Israel und Palästina seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 derart verhärtet haben, dass Frieden in der Region unmöglich scheint.

Wer einer ansässigen Bevölkerung Land wegnimmt und sie aus ihren Städten vertreibt, muss sich nicht wundern, wenn er dafür keine Gegenliebe erfährt.

Aber schon nach dieser ersten Frage zeigte sich die Stärke der beiden Referentinnen: Jede kann und will sich in die jeweils andere Sichtweise hineinversetzen. Shelley Berlowitz sparte dabei nicht mit Kritik an «ihrer» Seite: Die Gründung des Staates Israel habe durchaus einen kolonialistischen Anteil gehabt, und die Situation für die Bevölkerung im Gazastreifen habe sich Jahr für Jahr verschlimmert. «Wer einer ansässigen Bevölkerung Land wegnimmt und sie aus ihren Städten vertreibt, muss sich nicht wundern, wenn er dafür keine Gegenliebe erfährt.»

Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung.

Als Grundproblem erkennen beide Frauen dasselbe: «Zwei Bevölkerungen beanspruchen das gleiche Gebiet.» So fasste es Elham Manea zusammen. Sie könne dabei den ursprünglichen Wunsch von Jüdinnen und Juden durchaus nachvollziehen, nach dem Holocaust ein sicheres Land zu finden.

Für dieses Ziel aber Palästinenserinnen und Palästinenser zu vertreiben, zu unterdrücken und zu entrechten, sei nicht zulässig. Und es schüre Hass. «Das wiederum kommt der Hamas zugute. Sie will keinen Frieden, sie will Israel vernichten», sagte Manea. «Die Hamas ist darum keine Befreiungsbewegung.» Solche Aussagen scheue sie nicht, sie würden in der arabischen Welt aber nicht von allen verstanden. «Manchmal fühle ich mich recht einsam.»

 

Ökumenischer Weltgebetstag am 1. März

Am ersten Freitag im März findet jeweils der Weltgebetstag statt. Über Konfessions- und Ländergrenzen hinweg engagieren sich Frauen für Frieden und Gerechtigkeit. So entstand vor gut 100 Jahren die größte Basisbewegung christlicher Frauen.

Ein Land ist jeweils für die Liturgie verantwortlich – 2024 ist es Palästina, was nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zu Diskussionen führte. Kirchgemeinden waren verunsichert bei der Vorbereitung der Gottesdienste.

Der Dialog in der Friedenskirche wurde im Hinblick auf den Weltgebetstag durchgeführt. Dabei wurde auch noch einmal betont, dass das internationale Komitee des Weltgebetstages bereits im Jahr 2017 Palästina zum Weltgebetstagsland 2024 bestimmt hatte. Die Liturgie – wie immer vorbereitet von Frauen aus verschiedenen christlichen Kirchen – entstand vor rund zwei Jahren und wurde nach den Ereignissen des 7. Oktobers überarbeitet.

Für die vier Kirchgemeinden, die den Anlass in der Friedenskirche organisiert haben, ist klar: Die weltweite Gebetskette soll auch und gerade in diesem Jahr stattfinden. «Denn wir sind alle Christinnen», sagte Ke Ro Vallon, Co-Präsidentin des Kirchgemeinderats Frieden.

 

Wie aber soll bei so viel Hass auf beiden Seiten Frieden möglich sein? Nicht mit der aktuellen israelischen Regierung, nicht mit der Hamas. Da sind sich Berlowitz und Manea einig. Beide Führungen würden den Konflikt für ihre Eigeninteressen bewirtschaften, anstatt Lösungen zu suchen.

Friedensförderung von der Basis

Annäherung und Schritte in eine friedliche Zukunft kämen momentan fast ausschliesslich aus der Gesellschaft. So setzen sich zum Beispiel ein palästinensischer und ein israelischer Vater gemeinsam für Frieden in der Region ein, weil beide wegen des Konflikts Kinder verloren haben. «Friedensförderung von der Basis hat aber nur eine Chance auf Erfolg, wenn sie von oben unterstützt wird», betonte Berlowitz. Das sei im Moment nicht der Fall.

Im Moment wäre den meisten Palästinensern egal, wie eine Lösung aussieht. Was sie wollen und brauchen ist, in Freiheit und Würde zu leben.

Eine in zwei selbstständige Staaten geteilte Region? Oder ein einziger Staat? Oder gar eine andere Lösung? «Ich würde behaupten, im Moment wäre den meisten Palästinensern egal, wie eine Lösung aussieht. Was sie wollen und brauchen ist, in Freiheit und Würde zu leben», sagte Shelley Berlowitz.

Elham Manea – lange eine Verfechterin einer Zweistaatenlösung – glaubt heute nur noch an ein Miteinander. Ihr schwebt eine Konföderation vor, «eine diverse Gesellschaft». Bevor man sich allerdings überhaupt mit der Staatsform beschäftigen könne, müssten beide Seiten Vertrauen ineinander haben. Auch hier Einigkeit: Im Moment gebe es keine solche Vertrauensbasis.

Es gibt keinen anderen Weg, als sich weiterhin für Frieden einzusetzen.

Krieg, Hass und Misstrauen auf beiden Seiten, unterschiedliche Interessen – weshalb verlieren die beiden Friedensfördererinnen trotzdem nicht die Hoffnung? «Wer sagt, dass wir sie nicht verlieren?», fragte Berlowitz, aber mit einem Augenzwinkern. «Es gibt keinen anderen Weg, als sich weiterhin für Frieden einzusetzen», betonte Elham Manea. Israelis und Palästinenser seien «dazu verdammt, zusammenzuleben».

Sich auf das Verbindende konzentrieren

Shelley Berlowitz sieht eine grosse Chance darin, wenn sich Israelis und Palästinenser nicht auf das Trennende, sondern auf das Verbindende konzentrieren. «Seit 75 Jahren bekämpfen sie sich, beide Seiten leiden – das ist zwar keine schöne gemeinsame Geschichte, aber es ist eine gemeinsame Geschichte.» Es gelte, daraus ein gemeinsames Narrativ zu entwickeln, um dem Leiden ein Ende zu setzen.

«Kein Konflikt macht die Menschen derart verrückt wie der Nahost-Konflikt», sagte Elham Manea. Die meisten hätten reflexartig eine Meinung dazu. Diskutiert werde emotional und polarisiert. Der Nahost-Konflikt sei das Paradebeispiel für einen Konflikt, in dem es um Identität gehe, erklärte Berlowitz. Solche Konflikte seien immer sehr schwierig zu lösen.

Eine Mehrheit im globalen Norden bewege vor allem das Schicksal der Juden, im globalen Süden reagierten die Menschen auf den kolonialistischen Hintergrund. Beide Frauen riefen dazu auf, trotz dieser Schwierigkeiten nicht zu resignieren. «Ich glaube es nicht, aber ich hoffe, wir beide erleben noch Frieden in dieser Region», sagte Elham Manea.

 

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