Eingabefrist endet in 36 Tagen
Am 30. September 2016 hatte das Parlament entschieden, ehemaligen Verding- und Heimkindern sowie anderen Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen einen Solidaritätsbeitrag von 25 000 Franken zukommen zu lassen als Anerkennung für zugefügtes Leid. Die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen gehören zu den dunkelsten Kapiteln in der Schweizer Geschichte. Ihre Opfer sind vor allem Verding-, Heim- und Pflegfamilienkinder, die vor 1981 fremdplatziert wurden. Bis Mitte Februar sind beim Bund 5075 Gesuche eingegangen. Einer Schätzung zufolge leben jedoch rund 12 000 Betroffene in der Schweiz. Am 31. März läuft die Eingabefrist für die Gesuche aus. Die Initiantin der Wiedergutmachungsinitiative, die Guido-Fluri-Stiftung, macht mit Informationsveranstaltungen auf das Thema aufmerksam mit dem Ziel, dass noch möglichst viele Betroffene den Solidaritätsbeitrag geltend machen und erhalten können. «Besondere Schwierigkeiten bereitet dabei der Umstand, dass viele betroffene Personen noch gar nichts von ihrem Anrecht auf einen Solidaritätsbeitrag wissen», sagt Theo Halter von der Guido-Fluri-Stiftung. «Das sind oft Menschen, die aufgrund ihrer traumatisierten Kindheit nicht am sozialen Leben teilnehmen. Darunter sind auch Berechtigte, die nicht lesen und schreiben können, weil sie als Kinder in Pflegefamilien und Heimen zwangsarbeiten mussten statt zur Schule zu gehen», so Halter.
Auch in Alters- und Pflegeheimen halten sich solche Personen oft abseits und leben isoliert. Ihre Vergangenheit liegt im Dunkeln. «Eine schwere Vergangenheit steht auf keiner Eintrittsliste. Heimleiter, Heimpersonal und Besuchspersonen sollten deshalb den Mut finden, nachzufragen. Schon die Frage ‹Sind Sie zu Hause aufgewachsen oder waren Sie an einem anderen Ort daheim?›, kann Licht ins Dunkel bringen», sagt Theo Halter.
Häufig misstrauen Betroffene aufgrund ihrer Vergangenheit auch den Behörden und haben Angst vor einem Papierkrieg. «Niemand muss nach alten Akten oder Beweisen suchen, das erledigt das Staatsarchiv», sagt Theo Halter dazu. Aber auch wenn keine Akten mehr vorliegen, kann ein Gesuch eingereicht werden. «Wichtig ist einzig, dass man sein Schicksal glaubhaft schildern kann.» Das Personal auf den kantonalen Opferberatungsstellen helfe bei allen Fragen und beim Ausfüllen des Gesuchformulars.
Beispiel Schaffhausen
Dies bestätigt auch Markus Plüss, Sachbearbeiter bei der Fachstelle Gewaltbetroffene des Kantons Schaffhausen. Bis Mitte Februar sind 80 Gesuche über die Fachstelle nach Bern gelangt. Anhand der schweizweiten Einschätzung der Opferzahlen rechnet man im Kanton Schaffhausen mit rund 120 betroffenen Menschen. Plüss vermutet, dass sich nicht alle Personen bei der Fachstelle melden. «Es gibt sicher auch Menschen, die ihr Gesuch direkt in Bern einreichen», so Plüss. Er erwartet, dass bis Ende März noch weitere Schaffhauser Gesuche eingehen werden.
Angst vor der Vergangenheit
In Gesprächen mit Betroffenen hat er festgestellt, dass die Angst vor dem Weiterverwenden von persönlichen Daten verbreitet ist. Plüss entwarnt: «Niemand erfährt, wer ein Gesuch stellt. Wir sind diskret und unterstehen der Schweigepflicht. Dasselbe gilt für das Bundesamt für Justiz.» In der Wiedergutmachungsinitiative sieht er unabhängig vom Geld eine gute Sache. «Es kann eine Chance sein, die Vergangenheit aufzuarbeiten und lozulassen.»
Das zugesprochene Geld kommt allein den Opfern zugute. «Die 25 000 Franken sind zum persönlichen Gebrauch bestimmt», so Theo Halter. Es gibt keine Steuern darauf und sie haben keinen Einfluss auf Ergänzungsleistungen. Betroffene Personen können sich bei den kantonalen Opferberatungsstellen melden. Gesuchformulare können beim Bundesamt für Justiz unter der Nummer 058 462 42 84 telefonisch oder online: sekretariat@fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch bestellt werden. Hier erhalten die betroffenen Personen, Angehörigen oder Bekannten alle notwendigen Informationen und Auskünfte.
22.02.18 | Adriana Schneider
Eingabefrist endet in 36 Tagen