Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug
Wahlen Österreich

«Elementare Grundwerte erodieren»

von Felix Reich/reformiert.info
min
23.01.2025
In Österreich hat die rechtsnationale FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Der evangelische Bischof Michael Chalupka warnt, dass demokratische Grundwerte wanken.

Haben Sie Angst um die Demokratie in Österreich?

Michael Chalupka: Ich bin in Sorge, weil sich der Diskurs in Österreich in den letzten Jahren verschoben hat. Dinge werden infrage gestellt, die zuvor nicht infrage gestellt worden sind. Dinge, die wir bisher als feste Werte unserer Gesellschaft und unserer Demokratie erachtet haben.

Woran denken Sie?

Etwa an die Menschenrechte, an die Würde des Menschen. Wenn solche Grundwerte infrage gestellt werden, sollten wir achtsam sein.

Welche politischen Akteure rütteln denn an diesen Grundwerten?

Wenn wir die Bibel lesen, erkennen wir, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und deswegen allen Menschen die gleiche Würde zukommt. Wenn nun in der FPÖ von einem Volk die Rede ist, das gegen oder über andere Bevölkerungsgruppen gestellt wird, dann ist das ein Infragestellen der Gleichwertigkeit und der Würde aller Menschen, die in der Demokratie eine Zukunft haben sollen.

 

Michael Chalupka ist seit 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Österreich. Zuvor war der Theologe Direktor Diakonie Österreich. Im katholisch geprägten Land wurden die Protestantinnen und Protestanten lange verfolgt. Heute hat die Evangelische Kirche einen Bevölkerungsanteil von drei Prozent.

 

Es ist also die designierte Kanzlerpartei, die an den Grundfesten der Demokratie rüttelt?

So einfach ist es nicht. Dieser Diskurs erstreckt sich ja nicht nur auf eine Partei. Wir haben es mit einer allgemeinen Entwicklung zu tun, dass in der Debatte um Asylrecht und Flüchtlinge die Menschenrechte und die Flüchtlingskonvention infrage gestellt werden. Auch der hohe Wert, den wir als Christinnen und Christen der Familie zumessen, erodiert, wenn Familienzusammenzüge verzögert oder verunmöglicht werden sollen, obwohl die betroffenen Menschen ein Anrecht auf Schutz in Österreich und auch ein Recht auf Familienleben haben.

Es hat sich also grundsätzlich etwas verschoben in der Politik?

Mir bereitet Sorge, dass elementare Grundwerte, die uns als Gesellschaft tragen, für einzelne Bevölkerungsgruppen erodieren. Das kann unterschiedliche Menschen treffen: Geflüchtete, Menschen, die auf soziale Hilfe angewiesen sind oder auch Menschen, die unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben.

Aber der Wahlsieg der FPÖ und der Auftrag an Herbert Kickl, eine Regierung zu bilden, sind doch gerade Ausdruck einer lebendigen Demokratie.

Demokratie erschöpft sich nicht in der Dominanz einer Mehrheit. Zudem muss in einer parlamentarischen Demokratie wie in Österreich ja zuerst eine Mehrheit gefunden werden. Keine Partei hat ja allein eine Mehrheit. Demokratie lebt auch vom Schutz der Minderheiten, von der Garantie von Grundrechten, die über Mehrheitsentscheiden stehen. Und da haben wir als evangelische Kirche in Österreich eine besondere Sensibilität, weil wir eine Minderheit sind in unserem Land. Die evangelische Kirche hat sich den Minderheitenstatus aber nicht ausgesucht, sie wurde durch politische Verfolgung in der Habsburgerzeit zur Minderheit gemacht. Wir wissen deshalb, was es bedeutet, Rechte vorenthalten zu bekommen. Und wir wissen auch, was es bedeutet, diese Rechte in einer Demokratie zu erlangen: seit dem Protestantengesetz von 1961.

In Ihrem Brief an die Mitgliedkirchen und die Pfarrschaft schreiben Sie, dass die Kirche auch bereit sein müsse, «den Konflikt zu riskieren». Was bedeutet das?

Wenn wir zu dem stehen wollen, was wir glauben, müssen wir dabei bleiben. Wir müssen das Evangelium verkünden und an vielen Orten in Österreich, wo wir beten und Gottesdienste feiern, unsere Werte aufrechterhalten. Dazu gehört die Nächstenliebe, die dem hilft, der unter die Räder zu kommen droht, unabhängig davon, woher dieser Mensch kommt und welchen sozialen Status er hat. Wenn wir das tun, bringt uns dies vielleicht Kritik ein, und es kann zu Konflikten führen. Aber das darf uns nicht davon abbringen, dem treu zu bleiben, was wir glauben und was wir in Wort und Tat zu verkündigen haben.

 

Provokation und Wahlsieg

Mit den Kirchen hat sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) schon im Wahlkampf angelegt. Die rechtsnationale Partei druckte «Euer Wille geschehe» auf Plakate und erntete scharfen Protest. Wer den Vers aus dem Unservater für Propaganda verwende, müsse wissen, «dass er mit etwas spielt, das Menschen heilig ist», sagte Peter Schipka, Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz. Die Nationalratswahlen im Herbst gewann die FPÖ und holte knapp 30 Prozent der Stimmen. Nachdem die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gescheitert waren, wurde FPÖ-Chef Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt. Kickl will mit einer personell neu aufgestellten ÖVP ein Bündnis schmieden.

 

In der österreichischen Gesellschaft ist eine starke Polarisierung zu beobachten. Auf den Wahlsieg der FPÖ folgten Protestkundgebungen gegen die Politik der Freiheitlichen. Spüren Sie diese Spannungen auch innerhalb der Kirche?

Die österreichischen Kirchen haben eine Tradition des grossen Abstands zwischen Kirchen und Parteipolitik. Pfarrerinnen und Pfarrern und allen Amtsträgern und Amtsträgerinnen in der Kirche ist ein parteipolitisch öffentliches Auftreten verboten.

In Deutschland streitet die Evangelische Kirche ja darüber, ob eine AfD-Mitgliedschaft mit einem kirchlichen Amt vereinbar sei. Diese Debatte bleibt Ihnen also erspart, weil gar niemand für eine Partei auftreten darf?

Genau. Das hat seine Gründe in einer zweifachen historischen Erfahrung. Einerseits gab es in der ersten Republik eine enge Verquickung zwischen katholischer Kirche und christlich-sozialer Partei, bis dahin, dass ein Prälat Bundeskanzler wurde. Andererseits in der Hinneigung der protestantischen Kirche zum Nationalsozialismus. Aus dieser Erfahrung heraus haben beide Kirchen gelernt und leben eine Distanz zu den politischen Parteien. Der Abstand wird allerdings nicht von den Kirchen definiert. Vielmehr bleiben die Kirchen bei ihrem Eigenen, und die Parteien definieren ihren Abstand dazu.

Wie wird ein freiheitlicher Kanzler Österreich verändern?

Das kann ich nicht vorhersagen. Wichtig ist: Ob sich ein Land verändert, ob sich die Werte eines Landes verändern, das hängt nicht nur von politischen Parteien oder einem Kanzler ab, sondern das liegt auch daran, wie wir selbst, als Bürgerinnen und Bürger, als Religionsgemeinschaften das, was uns zusammenhält, Verfassungsrechte, Medienfreiheit, Religionsfreiheit, Menschenwürde, leben und verteidigen. Insofern hängt es von uns allen ab, in welche Richtung sich Österreich verändern wird.

Unsere Empfehlungen

Vereinter Warnruf an den Bundesrat

Vereinter Warnruf an den Bundesrat

«Kollaps der internationalen humanitären Strukturen droht»: In einem offenen Brief an den Bundesrat warnen Hilfsorganisationen und evangelische und katholische Kirchen.