«Erben ist auch ein Tabu, weil es mit dem Tod zusammenhängt»
Über Geld spricht man nicht – besonders in der Schweiz - und auch das Erben gilt grundsätzlich als Tabuthema. Warum haben Sie genau darüber einen Film gemacht?
Mit dem Thema beschäftige ich mich schon lange. Erstmals setzte ich mich damit auseinander, als meine Partnerin vor über neun Jahren mit unserer ersten Tochter schwanger war. Wir gönnten uns noch einmal Ferien zu zweit und in dieser Zeit dachten wir darüber nach, welche Werte wir unseren Kindern mitgeben, also vererben möchten. Schon damals fiel uns auf, dass diese Werte recht widersprüchlich sein können. Die Ferien waren ein gutes Beispiel dafür: Wir setzten uns in ein Flugzeug, um uns in einem nachhaltigen Strandhotel in Griechenland zu entspannen und regionales Essen zu geniessen. Eigentlich absurd. Ich überlegte jahrelang, wie sich das Thema als Film verarbeiten liesse aber keine Idee überzeugte. Bis meine Eltern wegen des Hofes in Südfrankreich auf uns zukamen.
Bei der Frage, ob und wer den Bio-Hof Ihrer Eltern erbt und weiterführt, geht es um materiellen Besitz, um Grund und Boden. Wie schwer fiel es Ihnen und ihrer Familie, öffentlich darüber zu sprechen?
Mir hat die Kamera geholfen, weil sie mich dazu zwang, unbequeme Themen in der Funktion des Filmemachers anzusprechen, die ich sonst vielleicht vermieden hätte. Für meine Eltern war es ein Prozess. Ich fuhr zwei Jahre zu jeder Jahreszeit für zehn Tage nach Frankreich, lebte bei ihnen und führte Gespräche. Im ersten Jahr war es ein Herantasten, ich habe nur sehr wenig Material aus dieser Zeit verwendet. Im zweiten Jahr ging es dann eher um die Substanz, da gab es viel mehr Diskussionen. Allerdings muss man auch wissen, dass meine Eltern sich schon recht früh mit dem Thema befasst haben. Denn als sie vor 20 Jahren die Schweiz verliessen, vererbten Sie meinem Bruder bereits ihren Biohof in Suberg (BE) und mir ein altes Mühlenhaus. Sie gingen mit dem Thema schon immer recht offensiv und transparent um.
Die Protagonisten ihres Films wie auch der zu vererbende Hof – die Konstellation ist speziell. Wie haben Sie es geschafft, die Geschichte so zu erzählen, dass sie ein breites Publikum anspricht?
Die Frage, wie wir die Geschichte meiner Familie anschlussfähig für andere machen, hat mich besonders beschäftigt. Zumal es sich ja nicht um eine «normale» Familie mit einem Einfamilienhaus handelt, sondern um eine Familie, in der drei Mitglieder Nationalräte sind oder waren. Anfangs bedauerte ich das, doch dann entdeckte ich die Stärken dieser Konstellation. So konnte ich auch Medien-Auftritte meiner Eltern aus den 90er Jahren verwenden. Auch die Geschichte der Schweizer Umweltbewegung spielt eine Rolle im Film. Und dann gibt es doch eine Reihe von Themen, in denen sich viele Zuschauerinnen und Zuschauer wiederfinden dürften.
Welche sind das?
Etwa die Frage, wie man über das materielle Erbe innerhalb der Familie sprechen kann, sich damit auseinandersetzen kann. Das ist ja auch ein Tabuthema, weil es mit dem Tod zusammenhängt. Dann gibt es die oft unterschiedlichen Positionen. Menschen, die sich schwerer tun mit dem Loslassen, wie mein Vater. Andere, wie meine Mutter, der das leichter fällt. Dazu kommt die Herkunft, auch da stehen meine Eltern exemplarisch für zwei wichtige Welten der Schweizer Gesellschaft: Die Arbeiterwelt und die Bauernwelt.
War der Film für Sie auch eine Chance, sich mit dem politischen Erbe und den Idealen der Eltern auseinanderzusetzen?
Auf jeden Fall. Die Frage, was mit dem Hof in Frankreich passiert, war der rote Faden und gleichzeitig ein Sprungbrett für andere Themen. Denn der Biobauernhof steht für die Werte meiner Eltern. Daraus ergeben sich Anschlussfragen: Wie gehe ich damit um, einen Betrieb zu erben, mit dem mich beruflich nichts verbindet? Wie geht mein Bruder damit um, der ja schon den Biobetrieb im Kanton Bern übernommen hat? Mein Bruder nimmt das Erbe viel unkomplizierter an als ich. Er führt ja beide Berufe meiner Eltern leidenschaftlich weiter, den des Bauern und den, des Politikers. Er schliesst auch nicht aus, irgendwann nach seiner politischen Karriere für ein paar Jahre nach Frankreich zu ziehen. Für mich aber bedeutet Erben auch ein Balanceakt von Nähe und Distanz zu den Eltern.
Bei Ihnen spürt man im Film ein gewisses Unbehagen, einerseits die Befürchtung, dass das Erbe zur Belastung werden könnte, andererseits auch ein grundsätzliches Unwohlsein, Teil der «Generation Erben» zu sein. Woher kommt das?
Ich benutze dafür gerne das Wortpaar «entfalten» und «verwalten». Die Generation der 68er, die Babyboomer konnten sich in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts entfalten, sehr viel aufbauen und erarbeiten. Das war eine gute Zeit mit gesellschaftlicher Durchlässigkeit, auch für meine Eltern. Das Anhäufen von Besitz in diesem Masse ist für unsere Generation undenkbar. Wir sind quasi nur noch die Verwalter.
Filmemacher aus Politiker-Familie
Simon Baumann ist freischaffender Dokumentarfilmer und Miteigentümer der Filmproduktionsfirma ton und bild GmbH in Biel. Der 45-Jährige ist Sohn der ehemaligen Nationalräte Stephanie Baumann (SP) und Ruedi Baumann (Grüne). Die Eltern wanderten 2001 in den Südwesten Frankreichs aus, um dort einen Biobauernhof aufzubauen. Im Film «Wir Erben» begleitete Simon Baumann seine Familie über mehrere Jahre mit der Kamera bei der Suche nach einer Nachfolgeregelung für den Hof, der gleichzeitig das Lebenswerk der Eltern darstellt. Der 90-minütige Film wurde im August beim Locarno Film Festival uraufgeführt und mit dem Grossen Preis der «Semaine de la critique» ausgezeichnet. Bei den Solothurner Filmtagen ist er für den «Prix du Public» nominiert. Simon Baumann lebt mit seiner Partnerin und zwei Töchtern in Suberg im Berner Seeland. Auch über seine Heimat hat er bereits einen Dokumentarfilm gedreht: Im Film «Zum Beispiel Suberg» (2013) setzte er sich mit der Veränderung des Zusammenlebens im Dorf auseinander und hielt fest, wie sich der wachsende Wohlstand auf den Gemeinsinn auswirkt. «Wir Erben» startet am 30. Januar im Kino.
Auch wenn die 68er-Generation und auch Ihre Eltern stark ideologisch geprägt waren, zeigt der Film doch auch schonungslos die Widersprüche der Protagonisten.
Ja, mein Vater etwa, ist zwar sehr naturnah und dennoch liebt er das Traktorfahren, das ja nicht gerade eine umweltfreundliche Tätigkeit ist. Das sind alte Diskussionen, die meine Eltern sehr gut kennen: Wo muss man vorbildlich sein und entsprechend seinen Idealen leben? Wo sollte man sich politisch engagieren, um Lösungen für alle zu finden? Darauf gibt es keine einfache Antwort.
Das zeigt sich auch bei der Erbschaftslösung, zu der sich die Familie entschliesst. Der Hof in Frankreich wird in eine Gesellschaft überführt, bleibt in Familienhand und es fallen keine Erbschaftssteuern an. Dabei befürworten alle Familienmitglieder eigentlich eine höhere Besteuerung von vererbtem Vermögen. Hatten Sie dieses Ende kommen sehen?
Ich habe das so erwartet. Es ist ein schweizerischer Kompromiss, den niemand richtig gut findet, der uns aber auch keine schlaflosen Nächte bereitet. Ich hätte es interessanter gefunden, wenn meine Eltern den Hof verschenkt hätten. Aber das ist sehr idealistisch gedacht. Schaut man sich das im Detail an, gäbe es viele offene Fragen: Nicht zuletzt, an wen der Hof verschenkt werden sollte. Wie das dann konkret abliefe. Meine Mutter sagt im Film, es brauche Lösungen für alle, sprich politische Rahmenbedingungen. Und das ist für mich nachvollziehbar. Das hat auch etwas mit Gleichheit und Gerechtigkeit zu tun.
Inwiefern haben die eigenen Kinder auch Ihren Blick auf das Erben verändert?
Als Hausbesitzer ertappe ich mich auch hin und wieder bei dem Gedanken, das Haus einmal weiterzugeben. Weil ich zwei Kinder habe, frage ich mich, ob das dann konfliktfrei über die Bühne gehen wird. Ich kann auch nachvollziehen, dass Familien KMUs weitergeben wollen. Erbschaftssteuern sollen ja keine Strukturen zerstören. Ich glaube aber, für solche Fälle gäbe es Lösungen.
Zu Beginn des Gesprächs sprachen wir über die immateriellen Werte, die Sie an Ihre Kinder weitergeben möchten. Welche sind das?
Vielleicht klingt das kitschig. Aber in erster Linie wäre es wohl das Gerechtigkeitsbewusstsein, das mir meine Eltern vermittelt haben. Sich für Schwächere einsetzen und ein Bewusstsein haben für Ungerechtigkeiten.
«Erben ist auch ein Tabu, weil es mit dem Tod zusammenhängt»