Erinnerungen an meinen Grossvater
Als Kind und Jugendlicher war ich oft bei meinen Grosseltern in den Ferien. Meine Grossmutter kochte mir meine Lieblingsessen, und mein Grossvater hat mir bis tief in die Nacht hinein aus seinem Leben erzählt. Ich fand das damals schon sehr spannend. Heute kann ich es noch besser einordnen.
Mein Grossvater hatte einen anspruchsvollen Start ins Leben. Darüber beklagt hat er sich nie. Als Verdingbub musste er in jungen Jahren sein Zuhause im Appenzell verlassen. Auf dem Bauernhof im Baselbiet wurde er – wie viele seiner Leidensgenossen – schlecht behandelt. Seine Verzweiflung war so gross, dass er ins Wasser ging und sich die Szenen seines noch jungen Lebens vor ihm als Film abspielten. In diesen Sekunden – so erzählte er mir später – sei ihm klar geworden, dass dies nicht der richtige Weg war.
Der Eintritt ins Gymnasium blieb ihm verwehrt, obschon sich sein Lehrer bei den Eltern vehement dafür einsetzte. Arme Leute hielten damals nichts von weiterführenden Schulen. Als gelernter Gärtner hat mein Grossvater zwar nie auf seinem Beruf gearbeitet. Dafür hatte er ein beglückendes Hobby. Das Geld für seine sechsköpfige Familie verdiente er über viele Jahre als Arbeiter bei der Firma Schindler. Wenn er nach Hause kam, war er schwarz von Motorenöl und Dreck. Seine breite Bildung holte er sich an Abendveranstaltungen der Kommunistischen Partei der Schweiz.
Mein Grossvater war von seiner Statur her klein, aber zäh. Er hat sich zeitlebens für die Rechte des kleinen Mannes eingesetzt und wusste sich zu wehren. Von ihm habe ich gelernt, nie aufzugeben, selbst wenn die Lage aussichtslos erscheint.
Erinnerungen an meinen Grossvater