«Es existieren viele Klischees über Familien»
In Zukunft sollen in der Schweiz auch Homosexuelle die Kinder ihres Partners oder ihrer Partnerin adoptieren können. Dies beschloss letzten Sommer das Parlament mit dem neuen Adoptionsrecht und rief damit die Gegner aus SVP, CVP und EDU auf den Plan. Sie befürchten, dass man mit der Stiefkindadoption die «Büchse der Pandora» geöffnet habe und gleichgeschlechtlichen Paaren bald auch die Adoption fremder Kinder erlauben werde. Das Kindeswohl werde «auf dem Altar nimmersatten Ideologien geopfert», hiess es.
Sind mit dem neuen Adoptionsrecht die traditionelle Familie und damit auch christliche Werte in Gefahr? Eine Veranstaltung des Forums für Zeitfragen mit der Theologin Isabelle Noth und dem Juristen Thomas Geiser beschäftigt sich im März mit diesem Thema. «Es existieren so viele Klischees rund um Familien», sagt Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Uni Bern. Vieles, das man dem Christentum zuschreibe, beruhe jedoch auf einem bürgerlichen Familienkonzept und habe sich historisch erst spät ausgebildet.
Mit dem Begriff «Idealfamilie» kann Isabelle Noth nicht viel anfangen und sie hält nichts davon, die verschiedenen Formen, wie traditionell, Patchwork oder Regenbogen, gegeneinander auszuspielen: «Mich interessiert viel mehr die Qualität von Beziehungen als das Geschlecht jener, die miteinander in Beziehung stehen. Die Pluralisierung von Lebensformen ist eine enorme Chance. Menschen dürfen Erfahrungen sammeln und mutig neue Wege gehen.»
Für die Theologin hat die Entstehung neuer Familienformen eine Vielzahl von Ursachen und könne nicht einfach als Ideologie abgetan werden. Sie weist darauf hin, dass viele Familienentwürfe zudem oft nicht bewusst gewählt seien, sondern sich durch Vorgaben, Entwicklungen oder auch Zufälle ergeben. «Grundsätzlich wichtig scheint mir, dass Menschen miteinander lebensförderliche und liebevolle Beziehungen eingehen können.» Ausserdem seien Beziehungen zu Mutter oder Vater stets etwas Einmaliges. Identitätskrisen, die viele Adoptivkinder erfahren, könne man nicht auf die sexuelle Orientierung der Eltern zurückführen, zumal die meisten von heterosexuellen Paaren adoptiert würden.
Dass das traditionelle Familienmodell in der Schweiz immer noch die Regel ist, bestätigen die Zahlen, die das Bundesamt für Statistik vor einem Jahr veröffentlichte. Regenbogenfamilien, also gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, machen gerade einmal 0,02 Prozent der Familienhaushalte aus. Und über 80 Prozent der Kinder in der Schweiz leben in einer sogenannten Erstfamilie, also mit ihren leiblichen Eltern zusammen.
Karin Müller, 23. Februar 2017
Veranstaltungshinweis: Adoption in der Zeit von Patchwork- und Regenbogenfamilien, mit Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik, Universität Bern, und Thomas Geiser, Professor für Privat- und Handelsrecht, Universität St. Gallen, Mittwoch, 29. März, 18.30–19.45 Uhr, Forum für Zeitfragen, Leonhardskirchplatz 11, Basel, Eintritt frei.
«Es existieren viele Klischees über Familien»