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500 Jahre Reformation

«Es gibt Grundsätze aus der Reformationszeit, die bis heute gültig sind»

von Carmen Schirm
min
26.04.2024
Wolfram Kötter, Kirchenratspräsident von Schaffhausen, erklärt, weshalb die reformatischen Ereignisse von 1524 bis heute Gültigkeit haben. Und was ihn zuversichtlich stimmt für die Kirche der Zukunft.

Haben die Ereignisse in Schaffhausen von 1524 auch für die heutige Zeit eine Bedeutung?

Wir können die Geschehnisse von damals rein historisch betrachten, was schade wäre. Denn es gibt aus der Zeit der Reformation Grundsätze, die bis heute Gültigkeit haben. Dazu gehört der Gedanke «semper reformanda». Die Kirche hat sich stetig zu verändern. Deshalb sollten sich die Kirchgemeinden immer wieder fragen, ob sie sich den gegenwärtigen Verhältnissen anpassen oder in der Tradition verhaftet sind. Zudem hat die Kirche bis heute eine Mission, einen Auftrag.

Was verstehen Sie darunter?

Mission klingt zwar altbacken, ich weiss. Aber wir haben in dieser Kirche Inhalte und Botschaften, die auch in der heutigen Zeit viel aussagen. Dazu gehören die vier Glaubensgrundsätze, die aus der Reformation heraus entstanden sind. Sola scripta, solus Christus, sola gratia, sola fide – allein die Schrift, allein Christus, allein die Gnade, allein der Glaube.

Der Glaube und nicht die gute Tat ist der Massstab, um zu einer Gottesbeziehung zu kommen.

Wie lassen sich diese vier Grundsätze auf die heutige Zeit anwenden?

Unsere heutige Gesellschaft ist stark leistungsorientiert. Wir sind aber nicht Mensch wegen unserer grossartigen Leistungen als Familienmanagerin, Sportcoach oder Manager. Menschsein bedeutet zuerst: Vergiss nie, dass du ein genialer Gedanke Gottes bist. Du bist ein grosses Kunstwerk, Gott zum Bilde geschaffen. Das ist doch grossartig, wenn Menschen in einem solchen Bewusstsein leben können. Das verstehe ich unter sola gratia, allein die Gnade. Oder sola fide – allein der Glaube. Der Glaube und nicht die gute Tat ist der Massstab, um zu einer Gottesbeziehung zu kommen. Nicht die Tat zählt, sondern der Glaube allein reicht. Wir gefallen Gott allein aufgrund des Glaubens und nicht aufgrund von Werken.

Gleichzeitig beobachte ich, dass wir kaum noch in der Lage sind, eine vernünftige Wertediskussion zu führen.

Und sola scripta?

Wir haben zu fragen, welche Werte wir aus den biblischen Traditionen in unseren Alltag übernehmen können. Ich sehe heute eine religiöse Vielfalt, wie wir sie selten gehabt haben. Gleichzeitig beobachte ich, dass wir kaum noch in der Lage sind, eine vernünftige Wertediskussion zu führen. Welche Werte bestimmen unser Zusammenleben, welche Werte geben wir unseren Kindern mit, welche Werte sollen in der Wirtschaft gelten? Als Grundlage dafür benötigt es Massstäbe. Und diese können wir in der Bibel finden.

Zum Beispiel?

Das, was das Christentum auszeichnet, ist die Liebe. Liebe ist deutlich christlich geprägt. Dabei geht es nicht nur um die Nächstenliebe, sondern auch um die Feindesliebe. In einer Zeit, die von so vielen Kriegsschauplätzen geprägt ist, steht es uns als Kirche gut an, für diese Werte einzustehen und als Friedensbotschafter zu agieren.

Kirche heisst für mich Beziehungen schaffen.

Was bedeutet die Reformation für Sie persönlich?

Für mich ist jeden Tag Reformation (lacht). Als Kirchenratspräsident wünsche ich mir gerade anlässlich solcher Jubiläen, dass es uns gelingt, eine Wertediskussion zu führen. Welche Werte bestimmen unser Zusammenleben in der Kirche und in der Gesellschaft? Zudem plädiere ich dafür, dass wir uns als Christinnen und Christen nach aussen erkennbar machen gegenüber Mitmenschen, Arbeitskollegen und der Gesellschaft. Christlicher Glaube ist immer persönlich, aber nie privat, auch wenn er private Momente kennt.

Was heisst Kirche für Sie?

Kirche heisst für mich Beziehungen schaffen. Ich hole Menschen in eine Beziehung hinein – zu Gott und zu anderen Menschen.

Was macht Sie hoffnungsvoll für die Kirche in Zukunft?

Wir haben zu fragen, was einerseits unverzichtbare Merkmale der Kirche sind und wie sich andererseits Gott die Kirche in dieser Welt vorstellt. Wir haben bestimmte Voraussetzungen, die uns von anderen Glaubensgemeinschaften abheben. Kirche ist eine Solidargemeinschaft. Sie ist immer solidarisch mit den Menschen. Jeder Mensch, gleich welche Lebensgeschichte oder Erfahrungen er gemacht hat, auch Diebe und Heuchler, dürfen gleichberechtigt um den Tisch des Herrn sitzen. Eine Kirche, in der Menschen einander mit Respekt und Achtung begegnen, ist – so glaube ich – eine Kirche, die sich Gott wünscht.

 

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