Ethisch investieren: Was Calvin schon wusste
Klimawandel, Plastik im Meer und in Kleinstpartikeln in der Nahrungskette, Permafrostschmelze und vieles mehr: grün bauen, grün essen, grün investieren ist ein Muss. Es gibt anscheinend keine Alternative. Aber wir entdecken Fluchtwege: Greenwashing, Selbsttäuschung, tun als ob, nachhaltig einmal pro Woche – wir alle, auch ich.
Von der Nische zum Mainstream
Nachhaltig investieren wird nach Jahrzehnten endlich von der Nische zum Mainstream. Das ist ein Erfolg. Firmen in der Schweiz, der EU und vielen Ländern wie Indien und China (Sie staunen? Ich habe dazu ein Buch herausgegeben) sind verpflichtet, die Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeiten nachzuweisen (ESG-Kriterien). Doch ein zentrales Problem bleibt: Korruption ist immer noch ein Hauptgrund für endlose Umweltkatastrophen, von illegaler Tropenwaldabholzung zu Öltankerhavarien, von umweltschädlichem Bauen bis zur Verhinderung griffiger Umweltgesetze durch Lobbying und Schmiergeldzahlungen an Parlamentarier und Minister (in diesem Fall spreche ich nicht von der Schweiz). Deshalb gehören persönliches, berufliches, ethisch nachhaltiges Investieren und politisch gesetzgeberische Arbeit zusammen. Das ist eine klare Erfahrung von vier Jahrzehnten Engagement für faires, nachhaltiges, ethisches Wirtschaften.
Die sieben Regeln des Jean Calvin
Der Genfer Reformator Jean Calvin (1509–1564) rechtfertigte als Erster das Zinsnehmen entgegen dem bis damals gültigen Zinsverbot der katholischen Kirche. Als Theologe und Jurist im Gespräch mit Genfer protestantischen Bankern entwickelte er seine Investitionsethik: Investieren mit Zinsen ja, weil es für die Entwicklung von Wohlstand nötig ist, mit sieben Regeln:
I. Arme brauchen zinslose Darlehen.
II. Es braucht Investitionen, aber auch Spenden.
III. Kreditgeber und Kreditnehmer sollen gleichermassen profitieren (win-win).
IV. Maximal 5 Prozent Zins, sonst ist es Wucher.
V. Gerecht ist nicht, was der Markt gerade sagt, sondern sind die ethischen Massstäbe.
VI. Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen.
VII. Gewinnsteuern sind nötig für das Gemeinwohl.
Christoph Stückelberger ist emeritierter Professor für Ethik Uni Basel, Gastprofessor in China und Nigeria, reformierter Pfarrer, Ethikberatung für Investmentfonds, Präsident von drei Stiftungen in Genf.
Ethisch nachhaltiges Investieren
Es gibt sehr viele Standards als ethisch nachhaltige Regeln des Investierens für heute und morgen. Hier nicht als Gebote, sondern vier Angebote, die für eine stabilere, nachhaltigere, friedvollere Welt und ein persönlich erfüllenderes Leben dienen:
1. Gewinnerwartung senken und dafür langfristig sachte gewinnen: 1 Prozent Zins über der Teuerung ist langfristig nachhaltiger als die Achterbahnen zwischen plus 10 und minus 20 Prozent Gewinn/Verlust.
2. In sogenannt Arme investieren: Mikrokredite in Afrika (z. B. Oikocredit, Eclof) sind in der Regel nachweislich weniger riskant und mit nachhaltigerem bescheidenem Ertrag als immer der Run auf die neuesten börsenkotierten «Werte» von Technofirmen.
3. Aktionärsstimmrechte kollektiv wahrnehmen: Auch wenn die Macht der Aktionäre nicht überschätzt werden sollte, so haben sie doch deutlichen Einfluss auf die Unternehmensstrategien und den Wechsel zum ethisch nachhaltigen Wirtschaften und zum ethisch nachhaltigen Investieren. Der Zusammenschluss von Aktionärsstimmrechten durch fachkompetente Vertretung ist wirkungsvoll, wie etwa viele Pensionskassen mit ihrem Pooling durch die Stiftung Ethos in Genf wirkungsvoll zeigen.
4. Vernetzt denken und handeln: Der politische Stimmzettel ist ebenso wichtig wie der Entscheid, wie ich mein Geld anlege.
Ethisch investieren: Was Calvin schon wusste