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Fokus «Hunger frisst Zukunft»

Fast eine Familie: Mahlzeit und eine Heimat

von Vera Rüttimann
min
05.03.2025
Auch in der reichen Schweiz können sich manche kaum ein Essen leisten. Einige kommen in den Treffpunkt Gundeli in Basel, hier bekommen sie eine warme Mahlzeit und Zuwendung. Ein Besuch zum Mittagessen.

Vor dem Haus am Winkelriedplatz in Basel hält ein weisser Lieferwagen der Schweizer Tafel mit der Aufschrift «Essen verteilen – Armut lindern». Der Koch und die Freiwilligen des Treffpunkts eilen herbei, um die Lebensmittel entgegenzunehmen. In den Kisten befinden sich abgelaufenes Gemüse und Obst sowie Brot und Backwaren. Rasch wird alles nach oben gebracht. Auch Michael Giertz, der Leiter des Treffpunkts, packt mit an. «Wir bekommen jeden Tag eine Lieferung von der Basler Tafel. Das sind enorme Mengen – und wir kriegen sie geschenkt», erklärt er.

Wer den Treffpunkt Gundeli betritt, muss zunächst einen Durchgang passieren und gelangt dann ins Gebäude im Hinterhof. In den Räumen herrscht reges Treiben. Es ist voll. Die Gäste sitzen an ihren Plätzen und warten gespannt auf das Vier-Gang-Menü, das bald serviert wird. Kostenpunkt: 6 Franken. Fabien Heitz, der energische Elsässer, schwingt in der Küche die Kochlöffel. Wer nicht bezahlen kann, erhält kostenlos eine Suppe mit Brot. Rund 25 Menüs und einige Suppen werden hier täglich serviert. «Es ist uns wichtig, dass wir gesunde und abwechslungsreiche Mahlzeiten anbieten können», betont Giertz.

Menschen am Rande

Der Treffpunkt Gundeli ist vielen ein Begriff. «Die Randständigen wissen, dass man hier günstig und niederschwellig essen kann», sagt Giertz. Er spricht von zwei Hauptgruppen, die den Weg hierherfinden: Menschen aus dem Einzugsgebiet des Gundeldinger Quartiers, die in prekären Verhältnissen leben, oft IV-Bezüger oder Pensionierte mit niedrigen Renten, und Menschen aus Ländern wie Osteuropa, die keine staatliche Unterstützung erhalten. In der Schweiz gibt es 2200 Obdachlose, Caritas geht davon aus, dass 702'000 Menschen armutsbetroffen sind. Manche kommen in den Treffpunkt. Darunter gibt es berührende Schicksale: «Ein Mann, der über zehn Jahre hier draussen unter freiem Himmel auf dem Winkelriedplatz gelebt hat und jeden Tag im Treffpunkt war, ist vor kurzem gestorben. Man kannte ihn, auch wenn er vielen ein wenig unheimlich war», erzählt Giertz.

 

Die Tafel Basel bringt die Lebensmittel …

Die Tafel Basel bringt die Lebensmittel …

… aus denen Koch Fabien Heitz später Mahlzeiten zubereitet. | Fotos: Rüttimann

… aus denen Koch Fabien Heitz später Mahlzeiten zubereitet. | Fotos: Rüttimann

 

Wie eine Familie

Hier ist eine Art Hausgemeinschaft entstanden. Man kennt sich. «Die einen mögen sich mehr, die anderen weniger.» Giertz spricht von unausgesprochenen Gesetzen, die hier gelten: «Es gibt Stammgäste, die wollen ihren Platz. Die sitzen immer an der gleichen Stelle.»

Allen gemeinsam ist: Der Treffpunkt wurde für sie zur Heimat. Hier finden sie nicht nur soziale Kontakte, sondern auch eine Tagesstruktur. So wie Petra, die in der Nähe wohnt. Sie sagt: «Ich komme jeden Tag hierher. Die Menschen, die ich hier treffe, sind wie eine kleine Familie für mich.»

Das Angebot des Treffpunkts ist vielfältig: An einer Wand hängen Zeitungen zum Lesen. An gemütlichen Holztischen sitzen die Gäste und unterhalten sich. «Wir unterstützen die Besucher und Besucherinnen beim Schreiben von Bewerbungen und stehen ihnen im Kontakt mit Amtsstellen beiseite. Dann und wann gibt es einen medizinischen Notfall.» Giertz muss dabei abwägen: «Wo können wir konkret helfen, und wen müssen wir an Fachstellen delegieren?» Besonders beliebt sind die geselligen Veranstaltungen wie der jährliche Ausflug und die Weihnachtsfeier.

 

Gute Stimmung im Team: Ehrenamtliche Mitarbeiterin Beatrice und Leiter Michael Giertz. | Foto: Rüttimann

Gute Stimmung im Team: Ehrenamtliche Mitarbeiterin Beatrice und Leiter Michael Giertz. | Foto: Rüttimann

 

Der Verein Treffpunkt Gundeli wurde 1976 von der reformierten und der katholischen Kirche Basel-Stadt gegründet. Heute sind die Stadt Basel und die Christoph Merian Stiftung die finanziellen Hauptträger. Einen Drittel der jährlichen Ausgaben muss der Treffpunkt von Stiftungen auftreiben. Neben der Geschäftsführung und dem Vereinsvorstand wird der Treffpunkt Gundeli durch ein grosses Freiwilligenteam unterstützt. Michael Giertz zählt über 30 freiwillige Helferinnen und Helfer, die hier Tische decken, Essen servieren, abwaschen und putzen. «Und vieles mehr», sagt er lachend. «Wenn es hier um die Mittagszeit einen Ansturm gibt », fügt er hinzu, «dann sind ihre Hände da, wo sie gerade gebraucht werden.»

«Ein gutes Gefühl»

Giertz unterscheidet zwei Typen von Ehrenamtlichen: Da sind die Pensionierten, «die noch eine sinnvolle Tätigkeit suchen und sich gebraucht fühlen wollen». Zu ihnen gehört Beatrice. Sie hat mit ihrem Mann ein Restaurant geführt. «Als wir frühpensioniert wurden, haben wir uns gefragt, wo wir uns noch engagieren könnten. Dann haben wir diesen Ort gefunden, und seitdem engagiere ich mich hier.» Zur zweiten Gruppe zählt Giertz Berufstätige mit einer sozialen Ader. Aus vielen Gesprächen weiss er: «Sie möchten in der Gesellschaft etwas Gutes tun, wenn sie hier ein- oder zweimal im Monat mithelfen.»

 

Ökumenische Fastenkampagne 2025

Am 5. März startet die diesjährige ökumenische Fastenkampagne von Heks und Fastenaktion. Diese markiert den Beginn eines dreijährigen Zyklus, der sich mit den Ursachen und Folgen von Hunger beschäftigt. Die Kampagne 2025 trägt den Titel «Hunger frisst Zukunft!». Sie will aufzeigen, dass Hunger und Unterernährung keine unüberwindbaren, natürlichen Phänomene sind, sondern durch menschliches Handeln entstehen und die Zukunftsaussichten ganzer Gemeinschaften im Globalen Süden bedrohen.

www.sehen-und-handeln.ch

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