Feiern, dort wo der Tod zu Hause ist
Hier ist der Tod zu Hause: Eben fährt ein Wagen eines Bestattungsunternehmens vor, im Laderaum ein Sarg. Ein Schild weist den Weg zu den Aufbahrungsräumen, in einer Urnen-Nische erinnert eine Inschrift an zwei vergangene Leben: Hilda Bauen-Schmid, 1910 bis 1992, und Walter Bauen, 1917 bis 2009. Von den Ahnen sind hier nur Jahreszahlen geblieben.
Wer ein Krematorium besucht, hat dafür in den allermeisten Fällen einen traurigen Anlass. Könnte man an diesen Ort nicht auch aus einem freudigen Grund kommen? Hier lachen, gar feiern? Hätte nicht auch das Leben Platz neben Tod, Trauer und Gedenken? Diese Fragen stellten sich die drei Kunstschaffenden Zoë Binetti, Stefan Maurer und Jeannette Hunziker.
Wir sind sehr gespannt, wie das Publikum auf den ungewöhnlichen Ort reagiert.
Zoë Binetti, Mit-Initiantin
Ihre Antwort darauf ist das Krema Festival, das vom 12. bis 14. August zum ersten Mal stattfinden wird. «Wir sind sehr gespannt, wer das Krema besuchen wird, und wie das Publikum auf den ungewöhnlichen Ort reagiert», sagt Zoë Binetti. Sie wird am Festival ein als Stand-up-Comedy verpacktes Trauerritual für queere Ahnen zelebrieren.
Kultur beim Krematorium – diesem Projekt liegt eine gemeinsame Suche der drei Kunstschaffenden zu Grunde. «Uns alle fasziniert die Schnittstelle zwischen Kunst und Spiritualität», erzählt die Schriftstellerin Jeannette Hunziker. Über gemeinsame Projekte haben sich die drei kennengelernt, sich regelmässig ausgetauscht und Orte gesucht, an denen diese Schnittstelle offensichtlich wird.
Wir wollen dem Ort eine Stimme geben. Also hören wir auch zu, was er zu sagen hat.
Stefan Maurer, Mit-Initiant
«Beim Alten Krematorium auf dem Bremgartenfriedhof hatten wir alle das Gefühl, den passenden Ort gefunden zu haben», sagt der Fotograf Stefan Maurer. Der Ort hat bei der Planung des Festivals ein Mitspracherecht. «Wir wollen ihm eine Stimme geben», betont Maurer. «Also hören wir auch zu, was er zu sagen hat.»
Mit der Idee, Kunst an diesen Un-Ort zu bringen, rannten die drei Kunstschaffenden in Bern offene Türen ein: Die Bernische Genossenschaft für Feuerbestattung (bgf) mit ihrer Geschäftsführerin Silvana Pletscher, ist Besitzerin und Betreiberin des Krematoriums. Sie hat schon länger Pläne für den ungenutzten Teil der Urnenhallen und die Integration eines Gastronomiebetriebes.
«In anderen Kulturen finden Leben und Tod viel selbstverständlicher nebeneinander statt», erklärt Jeannette Hunziker. So picknicken zum Beispiel in Mexiko an Wochenenden ganze Familien neben den Gräbern ihrer Angehörigen. Der verstorbene Grossvater gehört so weiterhin dazu.
Essen und Trinken können die Gäste deshalb auch am Krema Festival. Es gibt eine Bar, ein «Amuse Bouche der Vergänglichkeit», Pizza und am Sonntagmorgen Kaffee, Gipfeli, und dazu erklingen Afrobeats. Eine zentrale Rolle spielt das Feuer. Während des gesamten Festivals brennt vor dem Krematorium Tag und Nacht eines. Wer will, kann sich für einen zweistündigen Feuerhütedienst melden. Am Samstagabend nimmt die Feuerzeremonie des Hindupriesters Sasikumar Tarmalingam das Thema auf.
Unser Festival ist geprägt von Respekt für den Ort und für die Menschen, die hierhin kommen.
Jeannette Hunziker, Mit-Intitiantin
Essen und trinken? Musik hören? Tanzen? Darf man das dort, wo der Tod zu Hause ist und Menschen trauern? Ja, finden Zoë Binetti, Stefan Maurer und Jeannette Hunziker. Man soll sogar. «Unser Festival ist geprägt von Respekt für den Ort und für die Menschen, die hierhin kommen», betont Hunziker.
Die drei Kunstschaffenden sprechen von einem «Experiment mit offenem Ausgang». Eine gewisse Grenzüberschreitung sei durchaus gewollt und müsse möglich sein. Es sei aber völlig klar, dass der Betrieb des Krematoriums nicht eingeschränkt werde und auf dem Friedhof kein «Halligalli» stattfinde, betonen die drei. Aber ein bisschen mehr Leben während eines Wochenendes dürfe durchaus einziehen. «Ich glaube, den Ahnen gefällt das», sagt Zoë Binetti.
Mirjam Messerli, reformiert.info
Feiern, dort wo der Tod zu Hause ist