Fili und Murri: Mit dem Therapiehund im Altersheim
«D Fili und d Dorothea ghöre zäme», sagt der alte Mann. «Di beide chöme fasch immer z zwöit», fügt er in breitem Berndeutsch hinzu. Wir sitzen in der Cafeteria des Altersheims Fischermätteli. Dorothea Murri schaut sich um, grüsst freundlich und macht ein paar Scherze. Sie kennt die meisten Bewohner persönlich. Neben ihr liegt ihre Hündin Fili und schläft. Wenn Dorothea aufsteht, ist Fili sofort hellwach und folgt ihr auf Schritt und Tritt.
Dorothea Murri ist Pfarrerin im Altersheim Fischermätteli. Sie besucht die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Zimmern, macht Geburtstagsbesuche, organisiert Gesprächskreise, veranstaltet Lachyoga, bietet Andachten an und begleitet Menschen beim Sterben. Meist dabei: Hündin Fili. Die Schweizer Schäferhündin ist imposant, schneeweiss und so kräftig, als könne sie Schafe gegen Wölfe verteidigen. Trotzdem sei sie sanft, geduldig und grundlieb, versichert Dorothea.
Fili liebt es, wenn man sie am Hals krault, dann fängt sie an zu jodeln. In der Hitze des Nachmittags ist es Fili heute wenig zum Jodeln zumute, träge liegt sie unter dem Tisch auf den Füssen eines älteren Herrn. Der beobachtet das Tier fasziniert. «Fili spielt eine wichtige Rolle in der Seelsorge», erzählt Dorothea Murri. «Sie ist ein Türöffner für Gespräche und Gefühle. Die Leute öffnen sich leichter, wenn Fili dabei ist. Und einen Hund kann man streicheln und knuddeln, einen Menschen nicht so ungeniert.»
«Die mit dem Hund»
Im Altersheim ist Dorothea Murri oft als «die mit dem Hund» bekannt. «Vor allem, wenn sie meinen Namen nicht mehr kennen», lacht sie. Als sie einmal einen Heimbewohner besuchen wollte, lehnte er ihren Besuch mürrisch ab. Doch kaum steckte Fili den Kopf durch die Tür, rief er: «Schätzeli, chum doch ine.» Fili setzte sich an das Bett und der Mann erzählte ihr seine ganze Lebensgeschichte und seine Sorgen. Als sich die Pfarrerin verabschiedete, würdigte er sie keines Blickes, sagte aber zu Fili: «Schätzeli, du kommst bald wieder, gell!» «Es gibt Leute, die sagen, sie können mit Menschen nichts anfangen», sagt Dorothea Murri. Viele sind von Menschen schon so verletzt und enttäuscht worden, dass sie mehr Vertrauen in ein Tier als in ihre Mitmenschen haben.
Dorothea Murri hatte schon ihre frühere Hündin Gina in ihre Arbeit als Pfarrerin integriert. Als diese altersbedingt starb und Dorothea wieder bereit war, sich auf eine neue Beziehung mit einem Hund einzulassen, war klar, dass nur ein Hund in Frage kam, der gerne Menschen hatte. Zudem sollte er sie auf Wanderungen begleiten und gerne mit ihr in der Aare schwimmen. So stiess sie auf die Rasse Weisser Schweizer Schäfer und schliesslich auf den Welpen Fili.
Dorothea begann vor 10 Jahren eine Traumatherapieausbildung und wollte die kleine Fili nicht alleine zu Hause lassen. Deshalb fragte sie den Kursleiter, ob sie die Hündin mitnehmen dürfe. Er sagte ja, und so besuchte Fili drei Jahre lang mit Dorothea zusammen die Ausbildungsmodule. Am Ende bekam sie ein Diplom. Fili merkte, wenn Kursteilnehmende aufgrund der Kursinhalte aktiviert waren. Wenn jemand in Kontakt kam mit einem Trauma aus der Vergangenheit, näherte sie sich und legte ihren Kopf auf seinen Schoss. Manche brachen dann in Tränen aus.
«Die meisten Hunde spüren sehr gut, wie es den Menschen geht. Sie können Stimmungen fühlen», ist Dorothea überzeugt. Das hat sie bei so manchem Trauergespräch erlebt. Wenn die Luft dick ist und viel Aggression im Raum ist, signalisiert Fili, dass sie den Raum verlassen will. Wenn es ganz schlimm ist, beginnt sie zu würgen. «Macht mal das Fenster auf, wir haben dicke Luft hier, die Stimmung ist zum Kotzen!», hatte jemand aus einer zerstrittenen Trauerfamilie einmal die Reaktion von Fili ausgedeutscht.
Fili und Murri: Mit dem Therapiehund im Altersheim