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Flüchtlingsprojekt: «Die Mischung von Strenge und Liebe macht es aus»

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07.07.2016
In Italien scheint die kleine Kirche der Waldenser eine Antwort auf die schier unerträgliche Flüchtlingssituation in Europa gefunden zu haben. Ist so ein Modell auch in Luzern denkbar?

Sie kommen über das Meer, durch die Fluten. Manchmal schaffen sie es nicht bis zum Festland, manchmal gelingt es den Flüchtlingen, zu stranden.

Was danach kommt, gestaltet sich für alle Seiten schwierig. Die reformierte Kirche in Italien scheint zumindest an der Front eine leise, aber wirksame Antwort auf diese Unsicherheiten gefunden zu haben. Das Haus der Kulturen in Südsizilien, in der Nähe einer der grössten Ankunftshäfen und Einrichtung der Waldenser Kirche in Italien, hat sich als Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete Minderjährige etabliert. 40 Jugendliche leben dort, bis klar ist, ob ihnen Europa und sie sich selbst eine Chance geben.

Flüchtlinge als Gäste
Christine Hoffmann, Doktorandin der Theologie an der Universität Heidelberg, hat ein paar Monate in Scicli verbracht. Über ihre Erfahrungen sprach sie im Rahmen eines Inputreferats an der 125. Synode der Reformierten Kirche Luzern Ende Mai. Hoffmann sieht Migration als Chance, auszuloten, was in einem Land gesellschaftlich und juristisch möglich ist.

Den Schlüssel des Migrationserfolgs sehen die Verantwortlichen in Scicli in der Idee, die Angekommenen wie Gäste zu behandeln. Mit den gleichen Rechten und den gleichen Pflichten, wie sie Gäste eben haben. Neben Schule und dem täglichen Leben im Haus wird sehr auf sinnvolle Zeitgestaltung mit sich selbst geachtet. Ihnen wird beigebracht, dass sie eine Verantwortung haben, sich selbst und ihren Mitmenschen gegenüber. Es liegt an ihnen, was sie aus ihrem Leben machen. Wollen sie aktiv werden, erhalten sie alle Hilfe, die möglich ist. Brechen sie die Regeln, gibt es kein Pardon.

Hoffmann habe schon nach wenigen Tagen feststellen können, dass das Aggressionspotenzial der Jungen zurückgehe. Sie entspannten sich und bemühen sich enorm, weil man ihnen auf Augenhöhe begegne. «Diese Mischung von Strenge und Liebe, die macht es aus», sagt Hoffmann über das Projekt. Im kirchlichen Diskurs über die Flüchtlingsdebatte fehle diese Strenge oft, man wolle grenzenlose Toleranz leben. Die Waldenser-Kirche sei unbürokratisch, es werde einfach gemacht. «Das liegt wohl an ihrer eigenen Vergangenheit als lange nicht anerkannte, unterdrückte Gemeinschaft.» Die Waldenser wurden erst 1848 als italienische Staatsbürger anerkannt.

Strenge ist nicht per se schlecht
Das Beispiel aus Italien soll ein Anstoss zu neuen Ansätzen in der Flüchtlingshilfe sein, findet Hoffmann. Dieser Denkanstoss sei auch für die Reformierte Kirche Luzern wichtig, um neue Projekte anzureissen, sagt Marie-Louise Blum, Synodalrätin für Theologie und Gemeinden. «Diese Idee einer strengen, aber liebevollen Begegnung mit diesen Fragen ist sehr reizvoll», sagt Blum. Eine uneingeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen sei nicht per se christlich. Die Kirchenlandschaft in der Schweiz tendiere manchmal dazu, den Staat für eine gewisse Strenge zu verurteilen. Dabei müsse man Grenzen ziehen, «als Christen». Damit könne wirkliche Integration bei denen gelingen, die bleiben, sagt Blum.

Am Ende hänge der Erfolg solcher Projekte natürlich von jedem Einzelnen ab, sagt auch Hoffmann. Die einen Jugendlichen würden Chancen ergreifen, Italienisch lernen, versuchen, eine Lehrstelle zu finden. Andere würden auch nach einem Jahr in Italien noch keinen Satz Italienisch sprechen. «Das Projekt kann funktionieren oder auch nicht. Leute, die sich nicht anstrengen, haben kaum eine legale Zukunft in europäischen Ländern. Ich denke aber, dass ein kleiner Regelkreis enorme Kräfte freisetzt», sagt die Doktorandin. Einen Versuch ist es wert.

Anna Miller / Kirchenbote / 7. Juli 2016

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