Fokus auf dem Lokus
Ich schreibe diese Kolumne auf dem Klo. In einer immer schneller werdenden Welt sehne ich mich nach Rückzug. Das Klo war stets Ort für Kontemplation, Konzentration und Kommunikation. Schutzraum für vulnerable Gruppen, Frauen, Verfolgte, um sich unbeobachtet auszutauschen, Tränen, Herzblut und anderes zu vergiessen.
Der WC-Gang, hört man, bedeute oft die einzigen ruhigen Minuten fĂĽr MĂĽtter. Das stille Ă–rtchen. Das laut wird, wenn Kinder wie Katzen an verschlossenen TĂĽren scharren. Die innere Stimme redet auf das mĂĽtterliche Gewissen ein und ĂĽbertrifft das Kindergeschrei locker um einige Dezibel. Offenbar ist der Mental Load, die Verantwortungslast, nicht so einfach abzuÂladen wie der Darminhalt. Daher erleichtern sich FamiÂlienfrauen immer öfter bei offener TĂĽre. Komikerin Pony M. fĂĽrchtet gar, dass nach einem kinderfreien Klobesuch ihr Wohnzimmer unter Wasser stĂĽnde. Und die Katze in Flammen.
Hater schreiben Fakenachrichten beim fäkalen Verrichten. Doch aufgepasst: Hämisch reden führt zu Hämorrhoiden!
Doch ein Klosett ist eigentlich ein geschlossener Raum. Eine Klause. Väter scheinen da weniger Gewissensbisse zu haben. Wir kennen die Geschichte des zehnfachen Familienvaters, der Ruhe und inneren Frieden suchte. Er begnügte sich nicht mit dem Abtritt, sondern verliess Haus, Hof, Frau und Kinder, zog sich für den Rest des Lebens in eine Klause zurück und wurde später bekannt als heiliger Niklaus von Flüe. Austreten reichte zwar nicht für die Heiligsprechung, er musste erst abtreten. Zum Heiligwerden muss man tot sein.
Heutigen Familienvätern bleibt nur, sich auf dem Klo scheintot zu stellen. So können sie zumindest scheinÂheilig werden. Denn auch Männer pinkeln erfreuÂlicherweise immer öfter im Sitzen. Nicht seit sie die spritzenden Urinnebel erkennen, nicht seit sie selber putzen, nein, sie sitzen, seit es ÂSmartphones gibt. Der moderne Mensch verhält sich wie die alten Römer: Er vernetzt sich ĂĽber den Latrinenweg.
Verliebte senden Botschaften mit rosa Klobrille. SpielerÂnaturen mĂĽssen beim MĂĽssen Online-Dämonen bezwingen wie einst Hänsel und Gretel die Hexe im Knusperhäuschen. Hater schreiben Fake-Nachrichten beim fäkalen Verrichten. Comments in die Komment-Arspalte. Letztere reimt wohl daher auf den passenden Körperteil. Nach langen Sitzungen brennt nicht die Katze im Wohnzimmer, sondern der von Johnny Cash besungene «Ring of Fire» beim Hinterausgang. Drum aufgepasst: Hämisch reden fĂĽhrt zu Hämorrhoiden!
Ich machte den WC-Besuch zu einer Art Beicht-Stuhl-Gang.
Wer Tratsch über Royals liebt, erfährt auf dem Thron das Neuste von Thronfolgern. Von den Königshäusern direkt aufs Häuschen. Spekulierende verrichten digital kleine Geschäfte beim Verrichten des grossen Geschäfts. Darum heisst es wohl: «Börsen kotiert» beim Afterwork.
Als Schreibende kann ich hier ungestört verdichten, strömen lassen, mal dichter, mal Hohler fabulieren beim Defäkieren. Hier bin ich Mensch, hier kann ich’s sein, Dichterin und Denkerin, Richterin und Henkerin. Ohne Ablenkung. Fokus auf dem Lokus.
So beichtete ich meinen Lieben auch schon Fehltritte auf dem Abtritt. Ich machte den WC-Besuch zu einer Art Beicht-Stuhl-Gang. Eine doppelte Katharsis, zeitgleiches Abladen von körperlichem und seelischem Ballast. Hier darf man Rotz und ÂWasser und sich selbst gehen lassen. Alles rauslassen. Ablass erhoffen. Das Ego nimmt hier kein Blatt vor den Mund. Einzig im Ausgehen des Klopapiers droht ein Rollenkonflikt.
Mein Text ist nun abgeschlossen wie die Toilette kinderÂloser Menschen. Jetzt, da ich nach dem AusÂtreten am stillen Ort wieder in die laute Welt eintrete, geht es mir wie Hänsel und Gretel nach ihrer Befreiung: Ich bin komplett aus dem Häuschen.
Â
• In Entwicklungsländern entscheiden sanitäre Anlagen über Leben und Tod
• Fokus auf dem Lokus – Kolumne von Patti Basler
• Wie Luther auf dem stillen Örtchen zur erlösenden Erkenntnis kam
• Das spirituelle Örtchen
• Vom Stock zum zarten Wasserstrahl
Fokus auf dem Lokus