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Interview mit Nationalratspräsident Eric Nussbaumer

«Frieden braucht Hoffnungsgeschichten»

von Tilmann Zuber
min
02.12.2024
Die Schweiz gilt als friedliches Land. Nationalratspräsident Eric Nussbaumer erklärt, warum das so ist, ob Parlamentarier friedlich sind und was die Welt friedlicher machen könnte.

Die Schweiz gilt als eines der friedlichsten Länder der Welt. Zu Recht?

Ja, gesellschaftlich gesehen ist unser Land sehr ruhig. Wir haben Meinungsfreiheit und das Recht auf Demonstrationen, die in der Regel ohne Gewalt stattfinden.

Worauf führen Sie das zurück?

Auf verschiedene Faktoren. Unsere Demokratie und unsere Staatsordnung ermöglichen es, Entscheidungen nahe bei den Menschen zu treffen, sei es in Gemeinden oder Kantonen. Dies führt zu einer hohen Identifikation mit der Politik. Unser Wohlstand spielt ebenfalls eine Rolle, da reiche Länder, in denen es weniger soziale Ungerechtigkeit gibt, friedlicher sind. Zudem haben wir eine gute Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmenden und Unternehmen, die wir unbedingt weiterhin bewahren müssen.

Was braucht es auf der zwischenmenschlichen Ebene, damit es friedlich bleibt? Solidarität?

Ja, eine Solidarität, die erkennt, dass es nicht allen gleich gut geht und dass es einen Ausgleich braucht.

Toleranz?

Sicher. Toleranz ist ein wichtiger Wert in einer freiheitlichen Demokratie. Meinungsfreiheit kann nur existieren, wenn man anerkennt, dass die andere Seite etwas vertreten kann, das man selbst vielleicht noch nicht gesehen hat. Die Schweiz hat diese Werte, die zum friedlichen Zusammenleben führen, über Jahre entwickelt und eingeübt. Diese Möglichkeit hatten viele andere Länder nicht.

Sie erleben den parlamentarischen Alltag in Bundesbern. Sind Parlamentarier friedliche Menschen?

Grundsätzlich ja. Aber sie sind in das Kräftespiel der vereinfachten Argumente eingebunden. Heute sucht man in einer komplexen Welt nach einfachen Erklärungen. Vereinfachung führt zu Polarisierung, was das politische Leben und die Wahrnehmung von Politik nicht stärkt.

Hat sich das Klima in der Politik verschärft?

Ja, heute vertreten die Akteure und Parteien schärfere Positionen. Das liegt auch an der Zunahme der Medienkanäle, insbesondere der sozialen Medien. Früher arbeiteten die Parlamentarier gemeinsam an Kompromissen, heute ist das schwieriger. Heute arbeitet man an der eigenen Position, und es braucht viel, um Kompromisse zu finden.

Wünschen Sie sich da mehr Kompromissbereitschaft?

Ich wünsche mir vor allem mehr Lösungsbereitschaft und die Einsicht, dass man nur gemeinsam Lösungen findet. Fragen zum Klimawandel können nur international angegangen werden. Nationale Regelungen bringen da wenig. Die Schweiz sollte sich stärker an der internationalen Kooperation beteiligen, sie hält sich da eher zurück.

Wie würden Sie die Schweiz beschreiben?

Wir sind eine liberale, freiheitliche Demokratie, deren Grundwerte und deren Verfassung sich an der Menschenwürde orientieren.

Im Zentrum vieler Religionen steht der Frieden. Wie wichtig ist die religiöse Friedensbotschaft für den Staat?

Die staatliche Ordnung wurde durch die jüdisch-christliche Tradition geprägt. Schalom, das Wohlergehen für alle, hat unseren Umgang mit den Schwächsten und unser Ringen um sozialen Ausgleich beeinflusst. Heute haben wir jedoch eine staatliche Rechtsordnung, die nicht explizit christlich ist. Deshalb stimmt die Aussage «wir leben in einem christlichen Land» nicht mehr.

Religionen können auch Kriegstreiber sein. Wie sehen Sie das?

Religiöse Überzeugungen, wenn sie absolut gesetzt werden, können zu Intoleranz und Fundamentalismus führen. Gläubige meinen dann, sie müssten die Gesellschaft nach ihren religiösen Überzeugungen formen. Auch in unserer Geschichte führten konfessionelle Konflikte zu Kriegen, etwa zur Schlacht von Kappel, knapp 200 Jahre danach zu jener von Villmergen und rund 150 Jahre später zum Sonderbundskrieg. Die Schweiz hat solche Entwicklungen zum Glück hinter sich gelassen. Wir sollten jedoch die Friedensbemühungen in Konfliktregionen unterstützen. Unsere Verfassung hält als eines der aussenpolitischen Ziele fest, dass die Schweiz zum Frieden in der Welt beitragen soll. Das sollten wir konsequent handhaben und nicht im Zuge der Spardiskussion erklären, dafür fehlten jetzt die Finanzen.

Im Zentrum der christlichen Friedensbotschaft steht die Bergpredigt. Können Sie damit etwas anfangen, oder war Jesus da zu utopisch?

Die Bergpredigt ist keineswegs utopisch. Sie kann uns in der realen Politik begleiten, auch wenn sie nicht immer konkrete Lösungen skizziert. Und die Bergpredigt zeigt, dass es eine grössere Dimension im Zusammenleben gibt.

Heute erleben wir eine Zeitenwende, auch in der Friedensbewegung.

In den 1980er- und 1990er-Jahren war ich Friedensaktivist. Damals stand die Politik noch unter dem Eindruck der zwei Weltkriege, man hatte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die Politik agierte über die Grenzen hinweg und versuchte die Völkerverständigung zu stärken.

Und heute?

Heute haben wir das Völkerrecht und die UN-Charta, die Putin durch den Einmarsch in die Ukraine gebrochen hat. Wenn die Freiheit von Ländern, die international anerkannt sind, so massiv bedroht wird, kann die Völkergemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Die Schweiz hat eine gute Rolle gespielt, indem sie auf dem Bürgenstock eine Plattform für die Diplomatie angeboten hat. Wir dürfen jedoch nicht vor lauter Sehnsucht nach Frieden so naiv sein und von der Ukraine verlangen, dass sie einknickt und dem Aggressor Putin weite Teile ihres Landes überlässt. Das wäre falsch verstandene Friedenspolitik, in der sich der Mächtige durchsetzt, der das Völkerrecht bricht. In den Demokratien Europas ist die Freiheit ein hohes Gut. Wenn diese angegriffen wird, wird auch unsere Freiheit bedroht.

Wir nähern uns Weihnachten, der Zeit der Wünsche. Was wünschen Sie sich in Bezug auf den Frieden in der Welt?

Ich wünsche mir, dass die Mächtigen dieser Welt vernünftiger agieren und ihre Machtambitionen in Bezug auf andere Länder zurücknehmen. Stattdessen sollten sie auf Dialog setzen. Ich würde mir wünschen, dass es eines Tages zum Frieden und zur Versöhnung kommt, wie es nach anderen Kriegen geschehen ist.

Die biblische Weihnachtsgeschichte, dass Gott den Menschen nahekommt, ist eine Hoffnungsgeschichte. Braucht die Welt mehr Hoffnungsgeschichten?

Unbedingt. Gute Politik macht man mit Hoffnung und nicht mit Angst. Hoffnungsgeschichten können die Welt besser machen. Alle, die das verstanden haben, erzählen Hoffnungsgeschichten. Aber jene, welche die Welt nicht besser machen wollen, setzen auf Angst und Schrecken. Nur so können sie sich an der Macht halten.

 

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