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Schicksal

Geschichte mit Happy End: «Ich heulte vor Freude»

von Carmen Schirm-Gasser
min
04.09.2023
Es ist eine Geschichte wie aus einem Film. Als Investmentbanker verdiente Werner W. Millionen. Dann stürzte er tief. Ein christlicher Unternehmer gab ihm eine zweite Chance.

Werner, 69 Lenze alt, hat ein bewegtes Leben hinter sich. Dennoch wirkt er mit sich im Reinen, keineswegs vergrämt, ja, regelrecht glücklich. Sein Leben ist eine wilde Achterbahnfahrt, eine Geschichte, die filmreif ist. Er war Investmentbanker, schaffte es bis an die Wall Street, war mehrfacher Millionär. Dann verlor er alles, Haus, Vermögen, Frau. Selbst seine Kinder durfte er nicht mehr sehen.

Doch gehen wir zum Anfang zurück: Mit 23 Jahren startete Werner W. (Nachname ist der Redaktion bekannt) bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) an der
Zürcher Bahnhofstrasse eine Ausbildung. Er arbeitete bei verschiedenen Banken, erlangte die Aktienhändler-Prüfung der US-Börsenaufsicht SEC. Werner hatte damit die Erlaubnis, an der Wall Street als Aktienhändler tätig zu sein, zu einer Zeit, an der es an der Börse nur aufwärtsging.

Lizenz zum Gelddrucken

«Das Jahresgehalt eines Bankmanagers verdienten wir in einem Monat, wenn es gut lief», erzählt er. Zu seinen Markenzeichen gehörten eine Cartier am Handgelenk, Anzüge vom Massschneider aus Wien und München sowie handgenähte Schuhe aus Italien. Er übernachtete ausschliesslich in Fünf-Sterne-Hotels, im Flieger nur First Class. 50'000 D-Mark pulverisierte er an einem einzigen Abend mit einem Kunden am Oktoberfest. Mit 24 anderen Bankern kreuzte er mit einer Luxus-Segeljacht durchs Mittelmeer, 120 Bedienstete, Kaviar, Hummer, Champagner, alles im Überfluss. Der bordeigene Helikopter lud zum Flug über das Orakel von Delphi.

1993 kam die Heirat. Zwei Söhne machten sein Glück komplett. Auch beruflich ging es weiter aufwärts. Er machte sich selbstständig, gründete eine eigene Vermögensverwaltung. Werner, mittlerweile 47, schien das Glück gepachtet zu haben. Bis das Schicksal zuschlug. Werner setzte auf das falsche Investment. Seine Kundinnen und Kunden verloren viel Geld. Millionen waren weg. Sie klagten Werner ein, sein Unternehmen ging in Konkurs. Er verlor sein gesamtes Vermögen. Alles war weg, das Ersparte, das Haus, die Altersvorsorge.

Auch mit seiner Ehe ging es abwärts. Eines Abends, als er nach Hause kam, war das Haus leer. Seine Frau war weg, die Kinder hatte sie mitgenommen. Werners letzte Bastion hatte sich in Luft aufgelöst. Fortan durfte er seine Kinder nur noch alle fünf Wochen sehen. Das Geld für die Zugfahrt musste er bei Freunden zusammenkratzen. Kam er zwei Minuten zu spät, bestrafte ihn seine Frau damit, dass er wieder zurückfahren musste. Sie reichte die Scheidung ein. Menschen, denen er von seinem Drama erzählte, sagten ihm unverhohlen, dass sie sich an seiner Stelle vor den Zug werfen würden.

Teilen Sie mich ein, egal für was!

Beruflich bekam er keinen Fuss mehr in die Tür. Mit seinen 52 Jahren erhielt er nur noch Gelegenheitsjobs. Irgendwann auch diese nicht mehr. 400 erfolglose Bewerbungen später landete er beim Sozialamt. Dabei wollte Werner arbeiten. Er wollte Vorbild sein für seine Söhne, daheim fiel ihm die Decke auf den Kopf. «Teilen Sie mich ein, egal für was!», sagte er seinem Stellenvermittler. Fortan arbeitete er als Zügelmann bei einem Sozial-unternehmen namens Reissverschluss. Körperliche Schwerstarbeit für einen 56-Jährigen. 1.50 Franken erhielt Werner pro Stunde. Als Werner am Tiefpunkt angelangt war, kam es erneut zu einer Wende. Er fiel dem Besitzer des Hauses auf, dessen Einrichtung er gerade zügelte. «Ein älterer Mann schleppte mit viel Elan und Motivation die schweren Bananenschachteln, während die viel jüngeren Kollegen eher unmotiviert ihrer Arbeit nachgingen», erinnert sich Donato Scognamiglio, ehemaliger CEO und heutiger VR-Präsident des Immobilienberaters Iazi. Zwei Welten waren aufeinandergeprallt: hier der gestrauchelte Trader, dort der erfolgreiche Unternehmer (52), der sich selbst hochgearbeitet hatte. Als Secondo in Bern aufgewachsen, in einem Haushalt mit fünf Geschwistern, hatte er früh den rauen Wind des Überlebens kennen gelernt. Gleichzeitig hatte er die christlichen Werte seiner Eltern vorgelebt bekommen. Diese Werte als Massstab für sein Privatleben, setzte er auch in seiner Firma um.

Als Unternehmer geht es mir auch darum, Arbeitsplätze für Menschen anbieten zu können, die vielleicht nicht so einfach eine Arbeit finden.

Neue Chance

Im ersten Stock seines Hauses, zwischen Bananenschachteln und Kleiderschränken, forderte er Werner auf, ihm eine Bewerbung zu schicken. Wenig später startete Werner mit 58 Jahren als Immobilienconsultant durch. Ganz ohne Branchenkenntnisse hatte ihn sein neuer Arbeitgeber eingestellt. «Als ich den Arbeitsvertrag in der Hand hielt, heulte ich vor Freude», erinnert sich Werner. «Als Unternehmer geht es mir nicht primär darum, höhere Gewinne zu erzielen, sondern auch darum, Arbeitsplätze für Menschen anbieten zu können, die vielleicht nicht so einfach eine Arbeit finden», sagt Donato Scognamiglio. Seine Maxime: «Andere so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt würde.» Für ihn ist das Evangelium in Reinkultur. Die Menschlichkeit zu opfern für ein Ebita-Ziel? Für ihn unvorstellbar. Ich mache lieber weniger Gewinn, dafür mit den richtigen Leuten.»

Donato Scognamiglio hat Werner aus der Randständigkeit geholt. Und heute? «Die Kunden, die Mitarbeitenden, alle lieben Werner, er gewinnt die Herzen der Menschen», sagt Donato Scognamiglio. Mittlerweile unterstützt Werner ihn als Freund auch in seiner Freizeit bei seinem aktuellen Wahlkampf als EVP-Kandidat für den Nationalrat. Werners Kinder stehen ihrem Vater nah. Seine Exfrau hat sich unlängst bei ihm gemeldet, sie haben sich ausgesprochen. Er ist nicht mehr wütend auf sie. Auch ohne Luxus und Geld geht es ihm gut. Dass er trotz seinem Lebensstil von einst kerngesund ist, verblüfft ihn ebenso wie seinen Hausarzt.

Und er hat auch einen Ratschlag für all diejenigen, die einen Rückschlag erleiden: «Man verliert die Angst, wenn man so tief unten war.» Und er doppelt nach: «Nie aufgeben, denn das Licht am Ende des Tunnels kann ein Zug sein, der auf dich wartet, um dich mitzunehmen.»

 

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