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«Gott beschwingt auch dich»

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01.07.2022
Ende August findet in Pratteln im Kanton Baselland das Eidgenössische statt. Bereits einen Monat vorher bietet das Eventdorf auf dem Festgelände verschiedene Veranstaltungen, auch die Kirchen sind dabei.

Vom 26. bis zum 28. August findet in Pratteln das grösste Schweizer Sport- und Volksfest statt: das eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF). Es wird zum ersten Mal im Kanton Baselland ausgetragen. 280 Schwinger und hundert Steinstösser treten unter den Augen von 47'000 Fans in der Arena zu den Wettkämpfen an. Insgesamt erwarten die Organisatoren 350'000 Besucherinnen und Besucher auf dem Festgelände.

Im Vorfeld sieht Pratteln aus wie eine einzige grosse Baustelle. Das Dorf macht sich fein für das Grossereignis, und auch die reformierte und die katholische Kirchgemeinde beteiligen sich ökumenisch an den Veranstaltungen, die Ende Juli im Eventdorf auf dem Festgelände beginnen. Ihr Motto: «Gott beschwingt auch dich». «Ende August wird auch kirchlich bei uns Ausnahmezustand herrschen», bestätigt Pfarrer Daniel Baumgartner. «Wir wollen als Kirche zeigen, dass wir bei den Leuten sind und eine gute Sache wie das ESAF unterstützen.»

Um die Nachhaltigkeit des Megaevents zu fördern, stellt die Gemeinde zusammen mit Vereinen, den Kirchen und weiteren Institutionen ab Ende Juli ein kulturelles Programm auf die Beine, mit dem Pratteln sich, seine Einwohnerinnen und Einwohner sowie ihre Kulturen präsentiert. Die Kirchen sind als Haupt- und Mitorganisatorinnen an verschiedenen Veranstaltungen beteiligt. Dazu werden sie ihre Gebäude mit ihrem Schwingfest-Motto beflaggen.

Multikulturelles Leben in Pratteln
Schwingen gilt als urschweizerische, ländliche Tradition. In Pratteln gibt es einen Schwingklub mit zwei Aktiven und sieben Jungschwingern. Doch das Dorf selber, das mit seinen rund 16'000 Einwohnerinnen und Einwohnern bereits als Kleinstadt zählt, hat mit über 41 Prozent einen der grössten Ausländeranteile im Kanton Baselland. Diese Multikulturalität soll im Rahmen des ESAF zur Geltung kommen, etwa mit dem Projekt «Tracht lacht – Brauchtum verbindet»: «Seit vielen Jahren prägen Menschen aus über hundert Nationen unser ‹Dorfleben›», so die Gemeindeverantwortlichen. «Wir haben gelernt, dass die unterschiedlichen Einflüsse bereichern. Dass wir nun Austragungsort eines Urschweizer Traditionsanlasses werden, ist Grund genug, unsere Vielfalt zu feiern.» Es gehe «um Brauchtum und Tradition in einer multikulturellen Gesellschaft im Grossraum Basel, um das Gemeinsame und Eigene, das Fremde und Bekannte, um Menschen und Stolz, um Freude an traditioneller Bekleidung und um Identität», heisst es auf der Webseite prattelnschwingt.ch. Am 26. August führen die Trägerinnen und Träger ihre heimischen und ihre nternationalen Trachten in einem Umzug vor.

Daniel Baumgartner überzeugt diese Idee: «Wir wollen die verstaubten Vorstellungen von Traditionen aufbrechen und zeigen, dass es überall auf der Welt Trachten gibt. Es ist eine Möglichkeit, sich kennen zu lernen, wenn man die Anlässe in einer Tracht besucht.» Traditionen müssten nicht abgrenzen, sie können auch integrierend wirken, meint der Pfarrer. So beteiligen sich die Prattler Kirchen neben dem Familien- und Kindertag zweimal an der African-Night.

Am Sonntag, 14. August, feiern die Kirchgemeinden im Eventdorf zudem zwei ökumenische Gottesdienste, während der tamilische Verein für das Kulinarische sorgt. «Mit solchen Veranstaltungen wollen wir über kulturelle Grenzen hinweg feiern und zeigen, dass die Schweizer Tradition nicht nur aus Schwingen, Steinstossen, Hornussen und Jodeln besteht», sagt Daniel Baumgartner. In Pratteln möchte man anlässlich des Schwingfestes kulturelle Brücken schlagen.

Schwingen mit Migrationshintergrund
Dennoch ist Schwingen (noch) kein Breitensport, obwohl sich in den letzten Jahren auch ein junges, urbanes Publikum dafür zu interessieren begann. Immerhin haben die Frauen seit 1992 ihren eigenen Verband, und ihr Eidgenössisches verzeichnete 2019 mit 154 Teilnehmerinnen und rund 3000 Zuschauern einen Rekord. Noch dünner gesät sind Schwinger mit Migrationshintergrund: Sie stellen gerade einmal ein Prozent aller Schwinger in der Schweiz. Der Kranzschwinger und Kosovo-Schweizer Fejzaj Naim aus dem Appenzell ist der Bekannteste und war anfangs so exotisch, dass die Medien mehr an seinen familiären Wurzeln als an seinen sportlichen Erfolgen interessiert waren.

Heks, das Hilfswerk er Evangelischen Kirchen Schweiz, versuchte schon 2017 mit seiner Kampagne zum Flüchtlingstag den kulturellen Brückenschlag mit dem Schwingsport. Damals zeigte Ernst Schläpfer, auch er ein Appenzeller, Flüchtlingen, wie Schwingen geht. Wer schwinge, baue seine Berührungsängste ab, sagte der zweifache Schwingerkönig. «Die Gegner gehen auf Tuchfühlung. Im Training bringt man den anderen geführt zu Boden. Und am Ende müssen sich alle das Sägemehl vom Körper duschen, da gibt es keine Unterschiede.» Und die Wettkämpfe seien ein gesellschaftlicher Anlass. «Ein Schwingfest ist ein Ort des geselligen Beisammenseins. Da bleibt niemand ausgeschlossen.» Traditionen, die nicht ausschliessen, darum geht es auch Daniel Baumgartner: «Wir wollen, dass alle ihre Kultur zeigen können.»

Munitaufe und Weihnachtsgeschichte
Pfarrer Baumgartner spielt Fussball, kennt sich aber im Schwingsport aus. Sein Vater war Passivmitglied beim Schwingerverband Basel-Stadt und besuchte regelmässig Schwingfeste. Der Pfarrer, der seit 16 Jahren in Pratteln wohnt und arbeitet, hat auch einen guten Draht zu den Mitgliedern des lokalen Schwingklubs. Im Rahmen eines kantonalen Schwingfestes übernahm er sogar eine Munitaufe. An den Sieger des Schwingens geht jeweils ein Muni als Lebendpreis. Der Brauch der «Taufe» bedeutet den Auftakt zu den Wettkämpfen, es sei keine religiöse Handlung, die ein Pfarrer durchführt, erklärt Daniel Baumgartner. Er habe sich aber über die Anfrage der Schwinger gefreut. Er hat im Schwingklub auch schon die Weihnachtsgeschichte erzählt. «Oft sind Schwinger mit der Institution Kirche verbunden», so die Erfahrung des Pfarrers. Als Fussballfan sei er etwas neidisch auf die Schwingergemeinde, erzählt er. «Sie schaffen es, ihre Veranstaltungen, auch ein Mega-Event wie das ESAF, ohne Ausschreitungen durchzuführen, und pflegen trotz aller Konkurrenz untereinander einen fairen, respektvollen Umgang. Das bewundere ich, und es entspricht unseren Werten in der Kirche, eine gute Gemeinschaft zu haben.»

Karin Müller, kirchenbote-online

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