«Gott ist wie ein guter Freund, der mit mir gross geworden ist»
Frau Graf, gerade Ihre Generation ist Religion und Glauben gegenüber oft kritisch eingestellt. Wie begegnen Sie Menschen, die Ihre Beziehung zum Glauben nicht verstehen?
Ich sage immer, es schadet ja nicht, an etwas zu glauben. Ich persönlich glaube lieber, dass da etwas ist, ein Gott oder wie immer man es auch nennen möchte, als mir vorzustellen, dass wir hier im Leeren stehen. Das ist doch eine furchtbare Vorstellung!
Aber es gibt ja auch viel berechtigte Kritik, gerade wenn man über Geschlechterrollen in der Bibel spricht oder über Machtstrukturen in der Kirche.
Natürlich und sich damit auseinanderzusetzen, ist wichtig. Wir können die Religion nun mal nicht ändern, aber wir haben einen Einfluss darauf, wie sie sich in der Zukunft entwickelt.
Im Juni haben Sie darum mit einer Gruppe von 13 anderen jungen Menschen aus dem Baselbiet einen Jugendrat gegründet.
Ich wollte Leute finden, die so sind wie ich. Der Jugendrat ist schon jetzt eine ganz besondere Gemeinschaft. Hier müssen wir nicht Angst haben, zu sagen, dass wir gläubig sind. Wenn wir zusammensitzen und über Projekte sprechen, dann wächst in uns allen das grosse Gefühl, dass wir ganz viel erreichen können.
Ist der Jugendrat eine Kampfansage an die älteren Mitglieder der Kirche?
Ich dachte ganz lange, die Kirche wäre nur für alte Leute und die Jugend hätte keinen Platz darin. Aber alle, denen ich bisher begegnet bin, sind sehr offen für die Jugend. Wir haben eigentlich alle sehr viel gemeinsam, egal, wie alt wir sind oder an welchen Gott wir glauben. Wir alle wollen glücklich sein.
Bestimmt braucht es manchmal Mut, sich als gläubig zu «outen».
Ja, da tänzelt man in Gesprächen immer lange drum rum, das ist ganz eigenartig. Die Leute haben Angst vor dem, was sie nicht verstehen. Sie denken, dass ich mein Leben für meinen Glauben opfere. Dabei sollte der Glaube dich nicht vor dem, was dich glücklich macht, zurückhalten. Aber oft wird das Gespräch auch sofort gelockert, wenn ich sage, dass ich gläubige Christin bin. Ich habe schon erlebt, dass Leute plötzlich sagen: «Hey, ich gehe auch in die Kirche!»
Apropos: Gehen Sie denn in die Kirche?
Ja. Für mich ist das ein wunderschöner Rückzugsort. Ich mag die Stille und die Tatsache, dass alle Leute sich daran halten. Auch wenn ich in den Ferien bin, will ich unbedingt immer Kirchen besuchen. Das hat für mich nicht nur mit dem Glauben zu tun, ich mag einfach diese Atmosphäre. Kirchen zeigen uns, dass wir Menschen an etwas Schönes glauben können.
Glauben Sie, dass Kirchen wichtig sind, um an Gott glauben zu können?
Nur weil jemand regelmässig in die Kirche geht, heisst das noch lange nicht, dass er oder sie auch wirklich gläubig ist. Und umgekehrt. Ich glaube, dass Gemeinschaft wichtig ist. Mir ist es darum sehr ernst, offen über meinen Glauben reden zu können. Gott ist für mich wie ein guter Freund, den ich kenne, seit ich klein bin, und der mit mir gross geworden ist. Wenn ich mich verändere, verändert er sich mit mir.
Sprechen Sie denn viel zu Gott?
Ach, es kommt schon vor, dass ich mal ein paar Wochen gar nicht bete. Wenn ich dann Zeit finde, sage ich oft: «Ich hab mich schon ewig nicht mehr bei dir gemeldet, Gott, aber: Danke für alles!» Gott verlässt mich nicht, nur weil ich manchmal die Energie zum Beten nicht habe.
Sie reden sehr selbstbewusst über Ihren Glauben. Zweifeln Sie nie?
Doch, ich zweifle oft. Dann atme ich tief durch und mache eine Pause. Ich darf zweifeln. Ich muss mir meinen Glauben nicht einreden. Irgendwann fange ich mich, und dann kommt mir wieder in den Sinn: Ich find’s schön – deswegen glaube ich!
So, wie Sie es beschreiben, ist Glauben ein ständiges Suchen.
Suchen gehört zum Glauben dazu. Mit dem Jugendrat wollen wir andere Leute sammeln, die ebenfalls auf der Suche sind, die sich ebenfalls nicht sicher sind.
Wie würden Sie Ihren Glauben an Gott in nur einem Wort beschreiben?
Ich brauche zwei Wörter: Ich würde sagen, mein Glaube ist eine «helfende Hand».
Wie sind Sie denn zu Ihrem Glauben gekommen?
Meine Grossmutter hat mir den Weg geöffnet, an Gott zu glauben. Immer, wenn ich als Kind bei ihr übernachtet habe, haben wir zusammen gebetet. Das fühlte sich ganz intim an. Ich würde auch heute nicht mit jeder Person beten wollen! Wenn ich heute bete, dann bringt mich das zurück in diesen Moment mit ihr.
«Gott ist wie ein guter Freund, der mit mir gross geworden ist»