«Grüne Revolution» treibt Kleinbauern in den Ruin
Am Eingang zum Grossraumbüro des Hilfswerks «Fastenopfer» hängt das Plakat mit einer jungen afrikanischen Frau mit Dreadlocks. Darunter findet sich die Aufschrift «Gemeinsam für starke Frauen». Das könnte auch das Lebensmotto von Mercia Andrews sein, die seit vielen Jahren für «Fastenopfer» Bäuerinnen im südlichen Afrika in zehn verschiedenen Ländern organisiert. Eines ist ihr dabei besonders wichtig: Saatgut soll weiterhin in den Händen der Bauern und Bäuerinnen verbleiben. Denn Züchtungen mit traditionellem Saatgut könnten weit besser an die neuen Umweltbedingungen in Zeiten des Klimawandels angepasst werden, als das kommerzielle Einheits-Saatgut der Agrarkonzerne.
Am Morgen hat Mercia Andrews eine Schule besucht. Und die Schülerinnen und Schüler wollten es genau wissen, warum der Aktivistin aus Südafrika ein Schweizer Konzern wie Syngenta ein Dorn im Auge ist. «Ich habe ihnen erklärt, dass sie sich auch nicht jeden Tag alle die gleichen Kleider anziehen wollen.» Aber je mehr die Saatgutkonzerne bestimmen, welche Sorten weltweit ausgesät würden, desto mehr stünde bald nur noch Einheitsbrei auf unseren Speisezetteln. Um 70 Prozent sei die Samenvielfalt in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. Sorten, die oft über Tausende von Jahren gepflegt wurden, sind verschwunden.
Kleinbauern in der Schuldenfalle
Dabei geht es um mehr, als um den Verlust von Geschmacksvielfalt. «Die Monopolisierung ist für Bäuerinnen und Bauern gefährlich, weil sie dies in grosse finanzielle Abhängigkeit zu den Agrarkonzernen bringt.» Andrews erläutert, dass die angeblich so ertragreichen Sorten hybrid seien. Das heisst, dass sie nach der ersten Ernte nicht vermehrbar sind, sondern immer wieder von Neuem gekauft werden müssen. Wenn die Ernte durch Trockenheit oder Überschwemmung vernichtet wird, müssen sich die Bäuerinnen und Bauern verschulden, um neues Saatgut zu kaufen.
Warum aber hat sich in den letzten Jahren die Verbreitung von genetisch verändertem Saatgut auch in Afrika so stark ausbreiten können? Aggressives Marketing nennt Andrews als einen der Faktoren und ergänzt: «Der Klimawandel ist für die Lobbyisten ein Türöffner, um von Neuem eine grüne Revolution zu propagieren.» Hinzu gesellt sich der reichste Mann der Welt, Bill Gates, als angeblich menschenfreundlicher Gabengeber. Über die Bill-und Melinda-Gates-Stiftung würde viel gentechnisch verändertes Saatgut an die bäuerlichen Gemeinschaften Afrikas verschenkt und damit der Boden für die «grüne Revolution» bereitet.
Suizid mit Pestizid
Zur Erinnerung: Auf die grüne Revolution setzte auch Indien bei den grossen Hungersnöten in den 1950er und 1960er Jahren. Im grossen Stil wurde die indische Landwirtschaft umgemodelt. Zuerst war das Ergebnis durchaus positiv. Heute aber zeigt sich, dass damit kaum eine nachhaltige Entwicklung angestossen wurde. Ertragsrückgänge, auslaugte Böden und sinkende Grundwasserspiegel zeigen die Grenzen der grünen Revolution auf. Auch dass viele Bauern im Punjab, der Reiskammer Indiens, nach ihrem Bankrott Suizid mit Spritzmittel begingen, sorgte für Negativschlagzeilen.
Noch andere Akteurinnen macht Andrews aus, die versuchen, die traditionellen Saatgutbanken mit ihrem ausgeklügelten Tauschsystem zu verdrängen: die Regierungen selbst. Sie haben Agraringenieure der Saatgut-Multis wie Monsanto/Bayer, Syngenta und Dupont/Dow, die zusammen mehr als die Hälfte des globalen Saatguthandels beherrschen, als Berater in die Landwirtschaftsministerien geholt. Für die Technokraten in vielen Regierungen Afrikas gilt deshalb die «grüne Revolution» wieder als Zauberwort, um die Ernährungssouveränität in ihren Ländern herzustellen. «Sie flüstern den Ministern ein, dass beispielsweise gentechnisch veränderter Mais resistent gegen die Trockenheit sei», umschreibt Andrews die Verführungskünste der Agrarkonzern-Lobby. Andrews, die bäuerliche Frauennetzwerke im südlichen Afrika berät, ist dagegen davon überzeugt, dass gerade das Züchten mit lokalen Samen hilft, sich auf die neuen Umweltbedingungen des Klimawandels anzupassen. «Da ist ein Jahrhunderte altes Wissen da», erklärt Andrews. Mit Kreuzungen verschiedener Sorten könnte man selbst die Pflanzen auf zunehmende Dürre hin optimieren.
Samen tauschen verboten
In vielen afrikanischen Ländern erschweren auch neue Gesetze das Funktionieren der traditionellen Saatgutbanken. «Wir dürfen beispielsweise nicht Samen über Ländergrenzen hinweg austauschen», empört sich Andrews. Im Volksmund nennt man die drakonischen Bestimmungen «Monsanto-Gesetze». In den Gesetzen sind noch andere Mechanismen eingebaut, die die Geschäfte der Saatgut-Multis schützen. Wer beispielsweise Samen aus der Ernte ein zweites Mal verwendet oder im Umlauf setzt, wird bestraft. So wurde ein Bauer in Tansania zu zwölfjähriger Haft verurteilt, weil er mit patentiertem Saatgut gehandelt hat. Eine harte Strafe, vor allem, wenn man bedenkt, dass die aus dem Hybrid-Saatgut gewonnenen Samen bei ihrer zweiten Aussaat sehr geringe Ernteerträge bringen.
Das Patentieren von Saatgut ist eines der Themen, die «Brot für alle» und «Fastenopfer» mit ihrer Kampagne ins öffentliche Bewusstsein tragen wollen. Denn die kirchlichen Hilfswerke wie auch viele Umweltorganisationen finden es stossend, wenn Leben unter den Patentschutz gestellt wird. Merica Andrews unterstreicht dies mit einem Bild: «Die Samen sind die Grundlage allen Lebens. Aus ihnen entspringt selbst der Mensch.»
Delf Bucher, reformiert.info, 9. März 2020
«Grüne Revolution» treibt Kleinbauern in den Ruin