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Grund, mit Champagner anzustossen

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12.01.2021
Bei den US-Präsidentschafts- und Senatswahlen im alten Sklavenhalterstaat Georgia wurde die politische Landkarte neu gezeichnet. Ein Beben, das inmitten der Tumulte ums Kapitol Hoffnung macht.

Susan Neiman, amerikanische Philosophin mit jüdischen Wurzeln, war begeistert über die gute Nachricht aus den USA: Der schwarze Pastor Raphael Warnock und der junge 33-Jährige Jon Ossoff mit jüdischen Wurzeln waren in Georgia zu Senatoren gewählt worden. Sie öffnete sogleich die kalt gestellte Flasche Champagner. Neiman, die in Berlin das internationale Institut «Einstein Forum» leitet, ist in Georgia zu einer Zeit aufgewachsen, als die Sitzplätze in den Bussen noch streng zwischen Weissen und Schwarzen aufgeteilt waren.

Kurz nach ihrer Geburt im Jahre 1956 entschied sich Georgia, die Kriegsflagge der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65), Symbol für Sklaverei und der angeblichen Überlegenheit der weissen Rasse, zur offiziellen Fahne zu erheben. 1956 führte der berühmteste Sohn Georgias, der Baptistenpfarrer und Bürgerrechtler Martin Luther King, im Nachbarstaat Alabama den Busboykott an. Mit der neuen Flagge wollte das politische Establishment demonstrieren: Wir machen keine Konzessionen bei den rassengetrennten Schulen.

Stabile Demokratie
Für Susan Neiman ist es deshalb ein Wunder, dass nun im rassistischen Georgia ein Afroamerikaner und ein Polit-Youngster mit jüdischem Hintergrund gewählt wurden. Auch als die Nachrichten vom Sturm aufs Kapitol eintrafen, setzte sie ihr Champagnerglas nicht ab. Trotz der aufwühlenden Bilder aus Washington sagte sie in einem Interview mit dem «Spiegel»: «Mein Champagner hat seine Berechtigung, denn die demokratischen Institutionen haben dem Angriff Trumps standgehalten.»

Dass Neiman ihren Schampus öffnen konnte, hat sie vor allem einer Person zu verdanken: Stacey Abrams. Die demokratische Politikerin hatte 1992 in Atlanta die konföderierte Kriegsflagge auf den Stufen des Kapitols von Georgia aus Protest verbrannte. Vor den Olympischen Spielen 1996 wurde die Flagge schliesslich endgültig entsorgt. Stacey Abrams aber wirkte nicht nur bei der Verbannung der Sklavenhalter-Flagge mit. Mit Blick auf die jüngsten Wahlen schaffte sie vor allem eines: Die schwarze Wählerschaft – immerhin mehr als ein Drittel der Bevölkerung Georgias – an die Urne zu bringen.

Davon profitierte Joe Biden bereits im November. Mit einem Vorsprung von mehr als 1100 Stimmen sicherte sich der demokratische Präsidentschaftskandidat die Wahlmänner aus Georgia. Bei der wichtigen Senatswahl am 5. Januar eilten noch mehr Afroamerikanerinnen und Latinos an die Urne als zwei Monate zuvor.

Der religiöse Faktor
Dabei spielte der religiöse Faktor eine grosse Rolle. Denn die Pastorentochter Abrams mit methodistischem Hintergrund arbeitete schon lange daran, die Hürden in dem immer noch auf Rassendiskriminierung ausgerichteten Bundesstaat zu überwinden. Sie animierte die Schwarzen, sich als Wählerinnen und Wähler zu registrieren. Abrams und ihr grosser Kreis von Freiwilligen kämmten die Mitgliederlisten schwarzer Kirchen nach Wahlberechtigten durch und organisierten die persönliche Kontaktaufnahme. Abrams überzeugte auch viele Pastoren zu predigen, die Wahlpflicht sei eine heilige Pflicht.

Die Mobilisierung der Schwarzen könnte eine Zäsur bedeuten. Wie es den Republikanern seit den 1970er-Jahren gelang, den Block weisser Evangelikaler an sich zu binden, könnte eine Formation von christlich-schwarzen Wählern ein Gegengewicht zugunsten der Demokraten bilden, das republikanische Hochburgen ins Wanken bringt. Das könnte die Geschichte der USA weit stärker prägen als der Sturm auf das Kapitol. Zurecht sagt Susan Neiman: «Diese Senatswahl war unglaublich wichtig und das Ergebnis ist wirklich weltbewegend.»

Das Erbe Kings lebt weiter
Zu dieser Einschätzung gelangt auch der Historiker Thomas Holt, der auf die Geschichte der afroamerikanischen USA spezialisiert ist. Die herausragende Wahlbeteiligung ethnischer Minderheiten, die Warnock und Ossoff den Sieg brachte, zeigt für ihn auf, wie die alte Bürgerrechtsbewegung bis heute noch ausstrahlt. «Es gibt eine Art von Kontinuität in diesem Land, die wirklich auffällig ist,» sagte er in einem Interview. Dabei verwies er auf Warnock, den ersten schwarzen Senator überhaupt, der aus den Südstaaten in die Hauptstadt gesendet wurde. Der Sohn von Pfingstkirchen-Pastoren predigt heute in einer der berühmtesten Kirchen der USA: der Ebenezer Baptist Church. Hier ging Martin Luther King als Bub bei seinem Vater, Pfarrer an der Ebenezer-Kirche, in die Sonntagsschule, hier hat King als junger Theologe seine ersten Predigten gehalten. Für Warnock wiederum ist der berühmte Bürgerrechtler Vorbild. Er sagt selbst, dass er «auf den Schultern von Martin Luther King» stehe.

Dass aber beim Sturm aufs Kapitol prominent die Kriegsflagge der Südstaaten auftauchte, ist Anbetracht des Wunders von Georgia als das letzte Aufbegehren der weissen Männer zu sehen, die ihre alten Privilegien verteidigen wollen. Der demographische Wandel lässt sich nicht mehr aufhalten. Nach statistischen Berechnungen wird im Jahre 2045 die nichthispanische weisse Bevölkerung in den USA unter 50 Prozent sinken.

Delf Bucher, reformiert.info

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