Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Hat ein Wolf mehr Recht zu leben als ein Schaf?

min
21.08.2020
Im September stimmt die Schweiz über das revidierte Jagdgesetz ab. Der Arbeitskreis Kirchen und Tiere AKUT lehnt dieses ab. Man könne Tiere wie den Wolf nicht auf Vorrat abschiessen.

Christoph Ammann, die Meldungen, dass Wölfe Schafe reissen, häufen sich. AKUT ist dagegen, dass das revidierte Jagdgesetz den Abschuss des Wolfs vermehrt zulässt. Hat der Wolf mehr Rechte zu leben als ein Schaf?
Natürlich nicht. Aus Sicht des Tierschutzes ist es nicht erfreulich, wenn Wölfe Tiere reissen. Die entscheidende Differenz ist, dass es sich beim Wolf um ein Wild-, beim Schaf um ein sogenanntes Nutztier handelt. Wildtiere sollen wir in erster Linie in Ruhe lassen, die Schafe haben wir jedoch in eine Situation der Hilfsbedürftigkeit gebracht. Es ist darum unsere Pflicht, diese Tiere zu schützen, auch vor dem Wolf.

Warum geschieht dies so wenig?
Aus Gewohnheit, und sicher aus ökonomischen Gründen, wie bei allen Nutztieren. Der Herdenschutz kostet und die Landwirtschaft steht unter finanziellem Druck. Die Fixierung auf den Wolf halte ich für ein Politikum. Die Anzahl Schafe, die der Wolf reisst, ist vergleichsweise gering. Jedes Jahr sterben weit mehr gesömmerte Tiere aus anderen Gründen, an Krankheit oder durch Blitz- oder Steinschlag. Ausserdem sind die Schäden, die etwa Wildschweine verursachen, um ein Vielfaches höher.

Auch Wildschweine dürfen gemäss dem revidierten Jagdgesetz vermehrt abgeschossen werden. Warum ist AKUT gegen die neue Vorlage?
Das revidierte Jagdgesetz bedeutet für den Tier- und Artenschutz einen Rückschritt. Es ist ethisch und politisch gesehen ein Fehltritt. Die Würde des Tieres ist in der Schweiz im Tierschutzgesetz verankert. Es geht nicht an, dass man geschützte Tierarten auf Vorrat abschiessen kann, weil sie möglicherweise Schaden anrichten. Ein Abschuss darf nur Ultima Ratio sein. Eine sorgfältige Güterabwägung muss einem Entscheid vorausgehen. Eine solche wird durch das revidierte Jagdgesetz aber ausgehebelt.

Sie haben die Politik angesprochen.
Der wirksame Schutz bedrohter Arten ist ein Bundesauftrag. Es ist keine gute Idee, diesen an die Kantone zu delegieren und damit einem Wildwuchs von Regelungen Vorschub zu leisten. Tiere halten sich auch nicht an die Kantonsgrenzen. Es macht schlicht keinen Sinn, dies kantonal zu regeln.

In verschiedenen Regionen richten Tiere Schaden an. Ist da der Abschuss nicht gerechtfertigt?
Aus tierethischer Sicht sind Abschüsse immer ein Übel. Die Frage ist nur, ob sie manchmal, im Sinne einer Ultima Ratio dennoch erlaubt sein können. Nur wenn alle anderen zumutbaren Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, darf man geschützte Tiere abschiessen. Es ist wichtig zu sehen, dass solche Tötungen von Tieren immer ethische Grenzfälle darstellen.

Die Schweiz wird immer mehr zugebaut, die Freizeitindustrie erobert die Alpen. Die Wildtiere geraten unter Druck.
Die Zersiedelung zerstört die Lebensräume der Tiere. Deshalb haben wir die Pflicht, diese zu erhalten. In den letzten Jahren gab es eine gegensätzliche Entwicklung: Wildtiere wie Wolf, Bartgeier oder Biber finden ihre Nischen, ihre Population wächst. Wir stehen heute vor der Frage, wie können Wildtiere und Menschen zu einem guten Miteinander finden. Die Antwort ist beispielsweise ein wirksamer Herdenschutz. Oder dass man im Wolf nicht den bösen Eindringling sieht, sondern einen wichtigen Faktor im Ökosystem. Der Wolf macht moralisch nichts falsch, auch wenn er tötet. Wir hingegen sind in der Pflicht, die Schafe zu schützen.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

Unsere Empfehlungen

Die Moral erobert die Politik

Die Moral erobert die Politik

Die Klimadebatte sei moralisch und religiös aufgeladen. Dies führe zu Unversöhnlichkeit, sagt der Publizist Felix E. Müller. Statt vom Weltuntergang zu reden, müsse die Politik den pragma­tischen Kompromiss suchen.
Die Moral erobert die Politik (1)

Die Moral erobert die Politik (1)

Die Klimadebatte sei moralisch und religiös aufgeladen. Dies führe zu Unversöhnlichkeit, sagt der Publizist Felix E. Müller. Statt vom Weltuntergang zu reden, müsse die Politik wieder den pragmatischen Kompromiss suchen.