«Herrgott, ich bin ein Zweifler»
Urs Bosshardt, zuerst die Gretchenfrage: Wie haben Sie’s mit der Religion?
Religion tönt für mich fast etwas wissenschaftlich – und damit habe ich Mühe. Ich bin christlich erzogen worden und glaube, dass alles einen Sinn hat. Als Christ finde ich aber auch einiges im Buddhismus. Meine christliche Erziehung werde ich wohl nie mehr los, was aber nicht weiter schlimm ist. Denn ich liebe Kirchengebäude und die Musik von Johann Sebastian Bach. Als Protestant besuche ich mit Freude katholische Messen – vor allem wegen Wolfgang Amadeus Mozart. Meine fromme Mutter, die übrigens hundert Jahre alt wurde und zeitlebens im wahrsten Sinne des Wortes christlich dachte und handelte, hat mich mit ihrem starken naiven Glauben immer beeindruckt. Ein Glaube, den ich selbst nicht habe. Ich denke immer: Herrgott, ich bin einfach ein Zweifler.
Der 1953 in St. Gallen geborene Schauspieler Urs Bosshardt ist bekannt aus der Sitcom «Fertig lustig» des Schweizer Fernsehens in den Jahren 2000 bis 2002, diversen Kinofilmen und einer «Tatort»-Folge. Ursprünglich kommt er vom Theater. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Scuola Teatro Dimitri in Verscio. Sein Stammhaus ist das Basler «Fauteuil». Urs Bosshardt ist ausserdem aktiver Schnitzelbänkler – mit speziellem Dialekt.
Was hat Sie dazu bewogen, das Hohelied auf die Bühne zu bringen?
Als Bub habe ich in der Sonntagsschule die biblischen Geschichten geliebt und – so wie andere Kinder zur Unterhaltung der Verwandtschaft «Max und Moritz» auswendig lernten – diese Geschichten vorgetragen. Besonders beeindruckt hat mich die Geschichte des Zweiflers im Alten Testament – dessen Namen ich leider gerade nicht präsent habe –, der Zweifler also, der mit Gott im Gespräch ist und immer wieder Beweise für dessen Existenz einfordert. Einmal sollte am Morgen die Wiese nass sein und das Fell vor der Türe trocken, am anderen Morgen umgekehrt und so weiter. Ob jetzt gläubig oder nicht: Diese Geschichten beinhalten Wahrheiten. Auch das Hohelied stammt aus dieser Geschichtensammlung, und ich hatte es schon länger in der Schublade.
Der Hohelied-Text wäre in fünf Minuten vorgetragen. Was passiert in den übrigen 70 Minuten der Aufführung?
Bei der Aufführung haben Improvisation und Musik einen hohen Stellenwert. Für die Begleitung habe ich archaische Musikinstrumente gesucht und mit Yves Neuhaus einen Musiker gefunden, der mit der Nyckelharpa vertraut ist, einem schwedischen Saiteninstrument, das mit einem Bogen gespielt wird. Beat Vögele, der zweite Musiker, spielt Harmonium und Flöte. Die Aufführung ist als Performance angedacht. Man muss sich als Zuschauer und Zuhörerin in die Texte, Bilder und Musik fallen lassen. Das ist auch für uns Vortragende anspruchsvoll, weil keine Vorstellung der anderen gleicht. Wir gehen sozusagen immer wieder aufs Neue miteinander auf eine Reise, die man auch als Meditation bezeichnen könnte. Die beiden Previews waren jedenfalls für alle sehr spannend.
Es sind also weitere Aufführungen geplant?
Ja. Nach der Premiere am 16. Februar folgen im April Aufführungen im Engadin. Im August sind wir wieder zurück in Basel. Aktuell bin ich bereits an der Planung für die Saison 2025/26 und suche dafür den Kontakt zu Kirchen. Das Stück, so haben wir gemerkt, funktioniert in unterschiedlichsten Räumen – ja sogar als Freilichtaufführung.
Das Hohelied auf der Bühne des Tabourettli, Sonntag, 16. Februar, 17 Uhr
«Herrgott, ich bin ein Zweifler»