«Hier wird ein globaler Konsens öffentlich attackiert»
Welche Bedeutung hat die Zerschlagung von Usaid für die Entwicklungszusammenarbeit weltweit?
Stephan Klingebiel: Die Regierung unter Präsident Donald Trump hat ein Erdbeben in der gesamten Branche ausgelöst. Noch am Tag als der US-Aussenminister Marco Rubio die Arbeit der Institution auf Eis gelegt hat, zeigten sich bereits erste gravierende Konsequenzen. Impfkampagnen in afrikanischen Ländern, die unterbrochen wurden, HIV-Patienten, die nicht mehr an ihre Medikamente kamen. Zwar machten die USA einige Entscheide wieder rückgängig. Dennoch waren die Auswirkungen im Bereich der humanitären medizinischen Hilfe massiv. Die Konsequenzen sind aber auch in anderen Bereichen drastisch.
In welchen?
Grosse Auswirkungen hat der Abbau der Behörde auch mit Blick auf Demokratieförderung, Unterstützung der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsarbeit. Ganz grundsätzlich ist es für viele NGOs wichtig, einen internationalen Partner mit aussenpolitischem Gewicht zu haben. Plötzlich gab es finanzielle Ausfälle, bei Projekten, in denen Usaid mit NGOs aus anderen Ländern zusammenarbeitet. Und neben all dem sehen wir auch, wie sich die USA aus multilateralen Organisationen zurückziehen.
Stephan Klingebiel leitet am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) die Forschungsabteilung «Inter- und transnationale Zusammenarbeit.» Der Politologe ist zudem Gastprofessor an der Ewha Womans University in Südkorea, sowie an der Universität Turin und er lehrt an der Universität Bonn. Von 2019 bis Juni 2021 stand er dem Global Policy Centre des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Seoul, Südkorea, vor.
Sie sprechen die Unterstützung für UN-Organisationen an, welche die USA innerhalb von 180 Tagen überprüfen wollen?
Genau. 42 Prozent der Mittel der humanitären Hilfe der Vereinen Nationen kamen aus den USA, das ist eine riesige Säule. Besonders kritisch will die US-Regierung das UNRWA, das Hilfswerk für die palästinensischen Gebiete anschauen, die UNESCO und das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Einen Rückzug beobachten wir aber auch aus ganz anderen Gremien.
Zum Beispiel?
Aus dem Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD DAC) haben die USA ihren Delegierten abgezogen. Das ist ein wichtiges Gremium, in diesem Ausschuss koordinieren 32 Staaten sowie die EU ihre Entwicklungspolitik. Und die USA haben jüngst erklärt, dass sie die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 nicht mehr unterstützen. Das sind 17 Ziele denen sich 193 Staaten verschrieben haben, darunter sogar Nordkorea. Hier wird ein globaler Konsens nicht nur in Frage gestellt, sondern öffentlich attackiert.
Viele Hilfswerke versuchen nun, sich so zu präsentieren, dass sensible Themen weniger im Vordergrund stehen.
Gibt es Hilfswerke, die abhängig sind von amerikanischen Beiträgen und nun aufgeben müssen?
Das lässt sich insgesamt noch nicht abschätzen. Es gibt bereits eine Reihe von Partnerländern, wo lokale NGOs schliessen mussten. Viele Hilfswerke versuchen nun, sich so zu präsentieren, dass sensible Themen weniger im Vordergrund stehen. Nicht mehr unterstützen will die US-Regierung Projekte, die Wert auf Diversität, Gleichheit und Inklusion legen. Manche Hilfswerke betonen stattdessen nun, dass sie mit ihren Projekten Leben retten, in der Hoffnung unter Ausnahmeregelungen zu fallen und doch von Geldern profitieren zu können.
Was heisst das für das Engagement in diesen Bereichen?
Bekennen sich Hilfswerke nicht mehr offen zu diesen Werten, gibt es zunächst eine Verwässerung von Sprache. Aber die führt ja auch zu Handlungen. Was die Position der US-Regierung angeht, würde ich sagen, alles, was Gender im Sinne von Gleichberechtigung für Frauen bedeutet, hat vielleicht noch eine gewisse Akzeptanz. Aber alles was darüber hinausgeht, beispielsweise die LGBTQ-Bewegung betrifft, erfährt nicht nur im Land selbst sondern auch auf der internationalen Bühne starken Widerspruch der US-Regierung.
Die Prämisse lautet auch, dass jeder Dollar, der für Entwicklungshilfe ausgegeben wird, die USA sicherer, stärker und reicher machen muss. Schliesst das eine Kooperation vieler Hilfswerke mit den USA nicht aus?
Das kann man auch ganz anders betrachten. UN-Generalsekretär António Guterres hat die US-Regierung jüngst davor gewarnt, die Entwicklungszusammenarbeit dermassen runterzufahren. Das bewirke gar das Gegenteil von dem was sie erreichen wollten. Krisen werden geschürt und Flüchtlingsströme eher zunehmen, etwa wenn Camps nicht mehr ausreichend versorgt werden. Hinzu kommt der Reputationsverlust der USA. Und auch die US-Farmer haben das Nachsehen, weil die USA eine sehr starke Lieferbindung hatten und so Überschüsse der landwirtschaftlichen Produktion aufgekauft wurden. Ich sehe das wie Guterres – Trump macht sein Land nicht sicherer, stärker und reicher, zumindest, wenn man nicht nur kurzfristig denkt.
Entwicklungshilfe als ein Mittel der Aussenpolitik?
Genau. Die USA haben die Entwicklungszusammenarbeit quasi deswegen erfunden. Zwei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs forderte Präsident Harry Truman vom Kongress Mittel für die Unterstützung anderer Länder. Er hatte Griechenland und die Türkei vor Augen und wollte sichergehen, dass diese nicht in den Einflussbereich der Sowjetunion geraten. 1961 wurden unter John F. Kennedy dann USAID sowie das Freiwilligenprogramm Peace Corps gegründet. Die USA wollten damals ihre Entwicklungszusammenarbeit professionalisieren. Gleichzeitig drängten sie auf internationale Beteiligung, etwa von Westdeutschland und weiteren Staaten. Es ging um eine Lastenteilung, damit sich andere Entwicklungsländer nicht dem Ostblock anschliessen.
Die USA demonstrieren, dass ihnen Entwicklungszusammenarbeit im Sinne internationaler Solidarität egal ist.
Lässt sich die grosse finanzielle Lücke, die nun entstanden ist, irgendwie ausgleichen?
Die Lücke, die die USA hinterlassen, ist riesig. Es geht um etwa 30 Prozent der gesamten Entwicklungszusammenarbeit der OECD. Gleichzeitig reduzieren viele europäischen Länder ihre Ausgaben. Hier steht gerade niemand auf und sagt: «wir verdoppeln.» Das gilt auch für Deutschland, den zweitgrössten Geber nach den USA.
Sehen Sie die Gefahr, dass Russland oder China in die Lücke springen?
In Russland wird der Rückzug der USA propagandistisch schon recht ausgeschlachtet. China verhält sich ruhiger. Die USA haben immer sehr darum gekämpft, den Einfluss von China zu begrenzen, etwa in den Vereinten Nationen. Entsteht nun ein Vakuum, könnte sich China sehr viel mehr Einfluss verschaffen - mit etwas mehr Kooperation und höheren Finanzierungsbeiträgen.
Die USA werden die Entwicklungszusammenarbeit kaum komplett einstellen. Wie könnte eine künftige Strategie konkret aussehen?
Das ist schwierig zu sagen. Ich könnte mir einen Fokus auf Nahrungsmittelhilfen vorstellen, dann würden als Lieferanten wie bisher die amerikanischen Farmer profitieren. Denkbar ist auch, dass Unterstützung vermehrt zum Druckmittel wird. Ob das dann dem Geist und den Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit nach OECD-Kriterien entspricht, wage ich aber zu bezweifeln.
Zu einem gewissen Grad steht Entwicklungspolitik auch für Werte des Westens. Sehen Sie diese Wertebasis in Gefahr?
Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Pfeiler von internationaler regelbasierter Ordnung. Es gibt Verpflichtungen, wie etwa jährlich mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe auszugeben. Und auch Ziele zur nachhaltigen Entwicklung wie sie in der Agenda 2030 festgeschrieben sind. Dass die USA diese Normen jetzt nicht mehr anerkennen ist ein sehr unsoziales Verhalten zwischen Staaten. Sie demonstrieren, dass ihnen Entwicklungszusammenarbeit im Sinne internationaler Solidarität egal ist.
«Hier wird ein globaler Konsens öffentlich attackiert»