Hugenottenmedaillon: Das einzige Zeitzeugnis der grossen Flüchtlingswelle
Das allegorische Medaillon des Stuckateurs Samuel Höscheller zeigt einen Wanderer zwischen zwei Schlangennestern. Über ihm die schützende Hand Gottes mit einem Palmzweig zu sehen, im Hintergrund eine südlich anmutende Landschaft. Auf einer Banderole stehen die Worte «Il faut souffrir et espérer (Wir müssen leiden und hoffen). Daneben steht die Jahreszahl 1687. In diesem Jahr lebten in Schaffhausen bei 5000 Einwohnern über 9000 Flüchtlinge, Hugenotten aus Frankreich und Waldenser aus Italien, die wegen ihres reformierten Glaubens verfolgt wurden. «Das war eine Flüchtlingswelle von gigantischem Ausmass, die Menschen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten umfasste», erzählt René Specht, der frühere Leiter der Schaffhauser Bibliotheken. «Man nimmt deshalb an, dass das Medaillon einen flüchtenden Hugenotten darstellt.»
Gipsabdruck vorhanden
Das Medaillon ist das Mittelstück einer Stuckdecke im zweiten Obergeschoss des «Grossen Hauses», in dem sich heute das Stadtarchiv und Büros der Stadtverwaltung befinden. Der Raum, in dem das Medaillon hängt, ist privat vermietet. Nun wird das Medaillon kopiert und das Duplikat im öffentlichen Teil des Erdgeschosses angebracht. «Das Medaillon stellt die einzig sichtbare Stätte der Erinnerung auf dem Hugenottenpfad durch den Kanton Schaffhausen dar», sagt Doris Brodbeck, Kommunikationsbeauftragte der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Schaffhausen. «Anlässlich des Reformationsjubiläums möchten wir es öffentlich zugänglich machen».
Für das Duplikat braucht es einen Gipsabdruck der Vorlage. Eine solche Gipsform anzufertigen, sei aufwendig und teuer, so Brodbeck. Weil bereits 1985 anlässlich der Lausanner Ausstellung zur Aufhebung des Ediktes von Nantes ein Duplikat erstellt worden sei, hält sich der aktuelle Aufwand in Grenzen. «Die Gipsform von damals kann für die Kopie wieder benutzt werden», erklärt Brodbeck.
Grosse Solidarität
Am Ende des 17. Jahrhunderts zogen 170 000 Glaubensflüchtlinge von Genf und Lausanne nach Bern und von dort nach Aarau, Basel, Zürich und Schaffhausen. Die Städte platzten unter dem Ansturm aus allen Nähten. «Trotzdem war die Solidarität mit den Flüchtlingen gross, viele Privathaushalte öffneten ihre Türen», sagt René Specht. Das «Grosse Haus» am Fronwagplatz war damals im Besitz von Hans Conrad Peyer im Hof, der wohl das Medaillon anfertigen liess. «Interessanterweise ist es nicht in einem der repräsentativen Haupträume des Hauses angebracht, sondern in einem kleineren Zimmer auf der Hinterseite, das wohl als Gästezimmer genutzt wurde», sagt Specht. Das deute darauf hin, dass der Hausherr Hugenotten beherbergte.
Flüchtlingsdrama
Als im katholischen Frankreich der «Sonnenkönig» Ludwig XIV. aufstieg, kam es zu Zwangsbekehrungen und schwersten Verfolgungen, die 1685 in der Aufhebung des Edikts von Nantes gipfelten. Protestanten kamen in Haft oder wurden auf die gefürchteten Galeeren verbannt. Die Flucht ins Ausland stand unter strengster Strafe. Dennoch gelang rund 250 000 Hugenotten die Flucht über die Grenze. Die Flüchtlinge fanden in verschiedenen Orten der Eidgenossenschaft Aufnahme oder wurden gar eingebürgert wie in Bern. In den Grenzorten Basel und Schaffhausen schickte man sie angesichts der immensen Zahl nach Norden weiter.
Heute können Wanderfreudige auf einem europäischen Kulturfernwanderweg auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser von Frankreich oder Italien über die Schweiz nach Deutschland wandern und unterwegs vieles über die Geschichte dieser grossen Flucht erfahren.
Adriana Schneider / November 2016
Weitere Informationen zu den Hugenotten und Waldensern:
www.hugenotten-waldenserpfad.eu
www.wandersite.ch/hugenotten_waldenser_schweiz.html
Hugenottenmedaillon: Das einzige Zeitzeugnis der grossen Flüchtlingswelle