«Ich bereue nichts»
«Ich habe lange überlegt, ob ich einen Flüchtling aufnehmen will», erzählt Pfarrer Jürgen Dittrich und fügt entschieden an: «Ich bin froh, es getan zu haben.» Wir sitzen in jenem Raum des Pfarrhauses in Neuhausen, der nun das Zuhause von Simon aus Eritrea ist. Im Zimmer steht ein grosser Tisch, ein Bett, es hat leere Regale und grosse Fenster. Simon wirkt höflich, schüchtern und abwartend. Er erzählt, dass seine dreimonatige Flucht aus Eritrea über den Sudan, die libysche Wüste und Italien geführt habe. Vor Italien sei er auf einem überfüllten Boot in Seenot geraten, die italienische Küstenwache habe ihn gerettet. Simon spricht leise und hält die Augen gesenkt.
Hausaufgaben und Fussball
Auf die Frage, wie es ihm in der Schweiz gefällt, antwortet er lebhafter. Es gefalle ihm sehr gut hier. Die Menschen seien freundlich. In der Schweiz würden die Menschenrechte geachtet. Seine Tage seien vor allem ausgefüllt mit Deutsch lernen, in der Sprachschule und zu Hause. Jürgen Dittrich helfe ihm bei den Hausaufgaben. «Simon lernt stundenlang Deutsch, er nimmt das sehr ernst», sagt der Pfarrer. Das gemeinsame Lernen ist einer der täglichen Berührungspunkte der beiden. Dittrich begleitet Simon aber auch zu Behörden und hilft ihm mit dem offiziellen Schriftverkehr. Am Anfang habe er den jungen Mann in den Schweizer Alltag eingeführt. «Ich habe ihm gezeigt, wo man was einkauft, welche Geschäfte preiswert sind, wie man putzt, die Waschmaschine bedient und staubsaugt», erzählt der Pfarrer. «ich war überrascht, wie schnell er verstanden hat.» Auf die Frage, ob nun im Pfarrhaus gemeinsam gekocht und gegessen werde, antworten beide mit Nein. Es sei nicht einfach, ein Essen zu finden, das beiden zusage. «Zwischen dem europäischen und dem eritreischen Geschmack liegen Welten», sagt Jürgen Dittrich und erzählt, dass Simon im Untergeschoss des Pfarrhauses eine eigene kleine Küche habe, die er immer picobello hinterlasse. Was hingegen durchaus vorkomme, sei gemeinsames Fussball schauen. Simon kenne sich im Fussball gut aus und sei Fan von Real Madrid und Arsenal London, sagt der gebürtige Deutsche.
Menschliche Anteilnahme
Der Entschluss, einen Flüchtling im Pfarrhaus aufzunehmen, ist bei Dittrich gereift, als er das Flüchtlingselend in den Medien mitverfolgte. Dann suchte der Kanton Schaffhausen Wohnraum für Flüchtlinge. «Mir war klar, dass man etwas tun müsste », sagt Dittrich. Er habe sich Zeit genommen, um den Entscheid zu fällen. «Es braucht Mut, den Schritt zu wagen. Denn, wenn es nicht gut klappt, gibt es Probleme für alle Beteiligten. » Schliesslich habe die menschliche Anteilnahme über die Zweifel gesiegt. Jürgen Dittrich betont, dass er die Kirchgemeinde über seinen Entscheid informiert habe. Verschiedenen Mitgliedern der Kirchgemeinde geht es darum, Flüchtlinge bei ihrem Einleben in der Schweiz zu unterstützen. Bereut habe er den Entschluss bis heute nicht, bekräftigt der Pfarrer. Natürlich sei es anders, wenn jemand mit im Haus wohne. Er gehe zum Beispiel nicht mehr im Pyjama durch die Räume, spiele nachts kein Klavier mehr oder höre laut Musik. Aber tatsächlich nehme er die Anwesenheit von Simon kaum wahr. «Er verhält sich sehr leise und rücksichtsvoll.» Jürgen Dittrich weiss, was er dem jungen Mann fürs Leben mitgeben möchte. «Ich möchte Simon dahingehend fit machen, dass er in der Schweiz alleine in einer Wohnung leben kann.» Der junge Mann will gut Deutsch lernen und dann eine Lehre machen als Automechaniker. Jürgen Dittrich ist optimistisch, dass ihm das gelingen wird. *Name geändert
Adriana Schneider
«Ich bereue nichts»