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«Ich hatte einen Traum»

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06.01.2018
Die Sägessers sind Mennoniten. Aus Glaubensgründen wurde Bruno Sägesser zum Vorkämpfer des Zivildienstes in der Schweiz und landete im Gefängnis. Trotzdem würde er auch heute diesen Weg gehen.

Weder Pferde und Kutschen stehen vor dem Haus, noch tragen Sägessers schwarze Hüte mit breiter Krempe, hochgesteckte Haare mit Häubchen und lange Röcke. Trotzdem sind sie Glaubensgeschwister der Amish-People in den USA. Heidi und Bruno Sägesser sind Mennoniten. Sie leben in Münchenstein und versuchen Feindesliebe konsequent zu leben. Heidi Sägesser arbeitet seit vielen Jahren im Ökumenischen Weltgebetstags-team mit, Bruno Sägesser ist ein Vorkämpfer für den Zivildienst. Inzwischen sind die beiden im Pensionsalter. Er sei kein biologischer Mennonit, räumt Bruno Sägesser ein. Ursprünglich sei er reformiert gewesen. Nach der Konfirmation besucht der 17-Jährige regelmässig den Gottesdienst. Er sieht, wie der Pfarrer bei Kindertaufen die Paten fragt, ob sie bereit sind, ihr «Gottekind»  im Glauben an Jesus Christus zu erziehen. Und die antworteten natürlich «Ja», sagt Sägesser. «Ich hatte den Eindruck, einige Paten logen, mitten in der Kirche. Für mich stimmte da etwas nicht.» Der Teenager setzt sich mit Glaubensfragen auseinander. Die Bibel fordert ihn heraus. Doch statt als Hippie nach Indien zu reisen, will Bruno Sägesser in die Fussstapfen von Jesus treten. Seine Vorbilder sind die Christen in der Sowjetunion, die sich aus Glaubensgründen gegen den Staat auflehnen. «Das fand ich sensationell», sagt er. «Diesen Weg wollte ich auch gehen.»  Auf seiner Glaubenssuche entdeckt Bruno Sägesser die Mennoniten und dann Heidi, die dieser Gemeinschaft angehört. Die Mennoniten gehören zu den Täufern, die schon zu Zwinglis Zeiten den Waffendienst aus Glaubensgründen verweigerten und deshalb verfolgt und hingerichtet wurden.  Heidi und Bruno Sägesser heiraten und bekommen neun Kinder. Heute sind sie achtfache Grosseltern. «Es war schon eng in der Wohnung des Blaukreuzhauses und wir fuhren einen Elfplätzer», sagt Heidi Sägesser. «Und wir brauchten viel Milch. Schafft euch doch eine Kuh an, witzelten die Leute.»

«Gottes Gebote sind höher als menschliche Gesetze»

1972 macht Bruno Sägesser mit seiner Glaubensüberzeugung ernst und rückt nach der Rekrutenschule nicht mehr in den ersten Wiederholungskurs ein. Er erklärt den Vorgesetzten, dass das Tötungsverbot und die Feindesliebe es ihm verunmöglichen, weiter Militärdienst zu leisten. Gottes Gebote achte er höher als menschliche Gesetze.  In der Zeit des Kalten Krieges hat man wenig Gehör für Gottes Gesetz, wie es Sägesser versteht. Ein Militärgericht verurteilt den 22-Jährigen zu drei Monaten Haft. Das Urteil treibt Bruno Sägesser noch heute Tränen in die Augen. Er räuspert sich, wenn er erzählt, wie er mit einem Kindermörder und einem Drogenhändler im Gefängnis sass und wie wenig sein Engagement als Leiter im Blauen Kreuz und in den Kinderlagern vor den Richtern zählte. Heidi brachte ihm jeweils Aufnahmen vom Sonntagsgottesdienst in die Zelle und tröstete ihn. In dieser Situation hatte der 22-Jährige einen Traum. Sägesser träumte davon, dass seine Söhne in der Schweiz einen Zivildienst leisten können und für ihren Glaubensentscheid nicht mehr bestraft werden.  Bruno Sägesser nimmt den Kampf gegen den Staat auf. Das Leben des Bürgerrechtlers und Pastors Martin Luther King ermutigte ihn. Er besucht Prozesse gegen Militärverweigerer. Nachdem ein junger Mann, der ein Jahr lang im Erdbebengebiet von Armenien als Freiwilliger gearbeitet hatte, verurteilt wird, weil er nicht in den WK einrückte, tritt Bruno Sägesser vor die Richter und fragt sie: «Wer von euch hat schon ein Jahr unentgeltlich gearbeitet?» Darauf weist man ihn aus dem Saal.  Nicht alle Christen schätzen Sägessers Engagement. Immer wieder feinden ihn Christen aus rechtskonservativen Kreisen an. Doch Sägessers sind überzeugt: «Friedensarbeit ist Evangelisation.» Als Mitglied des Mennonitischen-Friedenskomitees stellt er mit anderen 1992 in einem Hearing hohen Bundesbeamten und Militärs ihre Vision eines Zivildienstes vor. In der Folge ist er auf dem politischen Parkett aktiv.

Ein bewegender Augenblick

Ab 1982 weigert er sich, nach der abgesessenen Gefängnisstrafe, für acht Jahre Militärpflichtersatz zu zahlen: «Was ich mit meinem Körper und Geist nicht unterstützen kann, darf ich auch nicht mit meinem Geld unterstützen.» Es kommt zum Prozess. Sägesser kann die Richter überzeugen, sie sprechen ihn 1992 frei. Unter anderem dank dieses wegweisenden Urteils müssen Zivildienstleistende ab 1996 keinen Militärpflichtersatz zahlen. 1996 geht Sägessers Traum in Erfüllung. Die Schweiz führt den zivilen Ersatzdienst ein. «Das war für mich ein bewegender Augenblick», sagt er. Unser Ältester, der damals 16 Jahre alt war, hatte jetzt die Möglichkeit, zwischen Armee und Zivildienst zu wählen.  Bruno Sägesser engagiert sich weiter: Er bereitete zwischen 1996 und 2007 tausend junge Männer auf die Gewissensprüfung vor und erhält auch jetzt wöchentlich Anfragen von Personen mit «Militärproblemen».  Für den Frieden waren Heidi und Bruno Sägesser an verschiedenen Brandherden auf der Welt im Einsatz. Haben Sägessers ihr Engagement nie bereut? Nein, sagen die beiden: «Man soll nicht auf die möglichen Konsequenzen achten, sondern darauf, was Gott von uns will. Dann wird Gott uns helfen, die Folgen zu tragen.» 

Tilmann Zuber, Kirchenbote, 5.1.2018

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