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«Ich wünsche mir eine Kirche, die glaubwürdig ist»

von Lisa Stalder / reformiert.info
min
27.06.2022
Mentari Baumann ist Geschäftsführerin der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Damit sich die Römisch-Katholische Kirche verändere, brauche es Zeit – und Leute, die «Druck machen und stören».

Mentari Baumann, Sie sind eine Frau, homosexuell, katholisch und seit letztem Dezember Geschäftsführerin der «Allianz Gleichwürdig Katholisch», die sich für eine offene katholische Kirche einsetzt. Sie haben sich viel vorgenommen.
Ja, das kann man sagen (lacht). Es ist sicher so, dass ich in meiner Person verschiedene Dinge vereine, die nicht repräsentativ sind für das gängige Bild der Römisch-Katholischen Kirche. Aber das ist ja genau das, was wir von der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» erreichen wollen. Wir wollen, dass auch Frauen, queere Menschen oder Männer, die nicht geweiht sind, ihren Platz in dieser Kirche haben; wir wollen eine Kirche, die den Grundsatz «Gleiche Würde Gleiche Rechte» lebt. Das ist auch mir persönlich ein grosses Anliegen und deshalb setze ich mich beruflich und privat dafür ein. Mit diesem Anliegen bin ich nicht alleine. Uns ist aber bewusst, dass dies kein einfacher Weg sein wird.

Weil in der katholischen Kirche nach wie vor ältere Männer das Sagen haben?
Das ist in der Tat so; wie eigentlich in vielen anderen Bereichen auch. Das Problem dabei sind ja nicht zwingend die einzelnen Männer selbst, sondern die Bedingungen und Strukturen dahinter. Es haben ausschliesslich Männer die Möglichkeit, in Positionen zu gelangen, in denen sie mitreden, mitentscheiden und mitgestalten können. Schaut man sich aber die Pfarreien an, sieht man, dass es vorwiegend Frauen sind, die sich engagieren und das kirchliche Gemeindeleben am Laufen erhalten. Es herrscht nach wie vor ein grosses Ungleichgewicht. 

Hat sich im Bereich Gleichberechtigung in den letzten Jahren noch nicht viel verbessert?
Viele Frauen, die sich bereits lange für die Gleichberechtigung in der Katholischen Kirche einsetzen, sagen mir, es habe sich nur wenig getan. Ich bin noch ganz frisch dabei und sehe das nicht ganz so negativ. Ich glaube, unser Anliegen ist in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit angekommen und gewinnt an Visibilität. Menschen mit Reformanliegen organisieren sich und bilden Netzwerke, auch über Sprach- und Landesgrenzen hinweg. Initiativen wie
«OutInChurch», «Gleichberechtigung.Punkt.Amen» oder «Maria 2.0» erreichen viele Menschen, inn- und ausserhalb der katholischen Bubble. Das zeigt vielen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Wünschen für die Kirche. Das war nicht immer so. Zudem gibt es in vielen Pfarrgemeinden durchaus Frauen, die Leitungsaufgaben innehaben und mitentscheiden können. Aber man muss ganz klar sagen, dass das noch längst keine Gleichstellung ist.  

Dass es in der katholischen Kirche unterschiedliche Meinungen gibt, zeigt sich derzeit auch im Bistum Chur. Bischof Bonnemain wird von verschiedener Seite angegriffen: Konservativen Priestern ist er zu liberal, reformierten Kräften zu konservativ. Dabei waren die Hoffnungen in ihn gross, als er im Februar des letzten Jahres zum Bischof ernannt wurde. Ging Ihnen das damals auch so?
Ich habe nicht erwartet, dass er innerhalb kürzester Zeit die gesamte katholische Kirche umkrempelt. Das kann er alleine gar nicht, dafür sind die Strukturen viel zu starr. Und er ist Teil dieser Struktur. Aber ich habe schon die Erwartung, dass er zwischen den verschiedenen Flügeln Brücken baut. Aber das alleine reicht nicht. Ich erwarte von jemandem in seiner Position, dass er nicht nur zuhört, sondern auch zu verstehen versucht, um was es uns eigentlich geht. Denn nur wer wirklich versteht, ist bereit, etwas zu verändern.

Zu Reden gibt unter anderem der Verhaltenskodex «Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung», den die katholische Kirche im Kanton Zürich und das Bistum Chur haben ausarbeiten lassen.
Grundsätzlich finde ich den Verhaltenskodex sehr gut. Ich finde auch das Vorgehen sehr vorbildlich. Es wurden unabhängige Personen damit beauftragt, den Kodex zu erarbeiten. Leute, die sich mit der Thematik auskennen, die bereits ähnliche Aufgaben in anderen Bereichen umgesetzt haben. Auch inhaltlich finde ich den Verhaltenskodex gelungen. Es gibt durchaus Punkte, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass eben auch Dinge aufgeführt werden müssen, die für einen Grossteil selbstverständlich sind.

Ein Teil der Priester weigert sich, den Verhaltenskodex zu unterschreiben. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann begrenzt nachvollziehen, dass jemand mit gewissen Punkten Mühe haben kann. Gerade weil diese zum Teil selbstverständlich sein sollten. Wenn jemand nun aber sagt, durch den Verhaltenskodex in der Arbeit eingeschränkt zu werden, dann bin ich nicht einverstanden. Auch in anderen Berufen, insbesondere Berufe mit ähnlichen Machtdynamiken, unterschreibt man Verträge, Verhaltenskodizes oder Richtlinien, an die man sich zu halten hat. Warum sollte das in der katholischen Kirche anders sein? Es geht nun darum, einen Kulturwandel herbeizuführen.

Und der Verhaltenskodex ist ein erster Schritt dazu?
Eine unserer Visionen ist eine Kirche, die ihre Macht teilt und gegen Machtmissbrauch vorgeht. Wir haben in unserer Kirche gesehen, dass sich Machtmissbrauch in unseren Strukturen entfalten kann. Damit sage ich nicht, dass alle Seelsorgenden ihre Machtposition ausnützen. Aber die aktuellen Strukturen und die Kultur schaffen ein Machtgefälle, das nicht gesund ist. Der Verhaltenskodex wird diese Strukturen nicht verändern.

Aber?
Er ist ein wichtiges Commitment. Man bekennt sich dazu, nach diesen Grundsätzen zu arbeiten. Zudem kann der Verhaltenskodex als stetige Erinnerung dienen. Man setzt sich mit der Materie auseinander, druckt das Papier aus, unterschreibt es und legt es in einem Ordner ab. Das hat plötzlich eine ganz andere Gültigkeit. Und deshalb bin ich der Meinung, dass jede und jeder diesen Kodex unterschreiben soll.

Kritik am Bischof kommt aber auch von progressiver Seite: Spitalseelsorgerin Veronika Jehle hat kürzlich ihre Missio, also ihre bischöfliche Beauftragung, niedergelegt. Dies aus Protest gegen gewisse Ansichten und Haltungen der Kirchenleitung. Was war Ihre Reaktion?
Ich wusste, dass sie mit vielem nicht einverstanden ist, damit ist sie nicht alleine. Dass diese Nachricht aber gleich so explodiert, war für mich dennoch überraschend. Ich finde es natürlich schade, dass sie diese Entscheidung fällen musste. Die Seelsorge ist ein enorm wichtiger Job, und Veronika Jehle hat diesen stets mit viel Herzblut gemacht. Zum Glück bleibt sie uns als Mitglied der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» erhalten, sie schreibt auch weiterhin fürs Pfarrblatt. Ihr Engagement wird also weiterhin zu spüren sein. Einfach in einer anderen Funktion.

Veronika Jehle hat unter anderem die Anstellungskriterien für die Missio kritisiert. Sie haben gegenüber kath.ch gesagt, dass Sie ihre Kritik teilen. Inwiefern?
Ich finde es äusserst problematisch, dass eine Anstellung an Bedingungen geknüpft ist, die mit den Aufgaben nichts zu tun haben. Dinge, die privat sind und die keinen Einfluss darauf haben, wie jemand den Job macht. Aber auch, dass einem eine Missio aufgrund der privaten und persönlichen Situation entzogen werden kann.

An welche Situationen denken Sie?
Wenn sich jemand als homosexuell outet oder sich scheiden lässt, dann kann davon ausgegangen werden, dass man die Missio verliert – und sie auch nicht mehr wiederbekommt. Oder wenn jemand zum Beispiel mit dem gleichen Geschlecht verheiratet ist und offen damit umgeht, erhält man die Missio gar nicht. Veronika Jehle war nicht mehr bereit, diese Bedingungen mit ihrem Gewissen zu vereinbaren. Es stellt sich für uns alle die Frage, wo unsere rote Linie ist und mit was wir leben können und wollen. Veronika Jehle hat ihre rote Linie erreicht, und ich habe grossen Respekt davor, dass sie konsequent und transparent in ihrer Haltung ist.

Wie gross ist Ihre Hoffnung, dass sich die katholische Kirche irgendwann doch noch bewegt und verändert?
Ich glaube, die Weltkirche wird sich so schnell nicht bewegen. Das ist schon nur wegen ihrer schieren Grösse nicht möglich. Aber hier in der Schweiz habe ich die Hoffnung, dass wir als Institution den Mut haben werden, unseren Spielraum zu nutzen. Die Missio können wir nicht abschaffen, aber wir können die Vergabeprozesse anders gestalten. Oder wir können gewisse Stellen von der Missio trennen. Dann könnten auch Personen, die aufgrund ihrer Situation keine Missio bekommen würden, aber über die nötigen Qualifikationen verfügen, diese Stelle übernehmen. Zudem müssen mehr Leitungspositionen mit Frauen und nicht geweihten Menschen besetzt werden. Das wäre übrigens auch im Sinne des Papstes. So sieht die Kurienreform, die seit Pfingsten in Kraft ist, vor, dass auch Frauen und nicht geweihte Männer bis in höchste Kurienämter aufsteigen können.

Werden es allenfalls Zeit und Zeitgeist irgendwann von selber richten?
Rein historisch gesehen, darf man davon ausgehen. So hat sich die Katholische Kirche früher gegen die Menschenrechte gewehrt. Es gab eine Zeit, da mussten Priester einen anti-Modernismus-Eid unterschreiben. Heute ist das undenkbar. Das ist eine Veränderung, die sich im Laufe der Zeit eingestellt hat; trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass die katholische Kirche diese Entwicklungen zwar gemacht hat, aber damit massiv ‘hingerdri war. Und: Veränderungen sind nur möglich, wenn Leute da sind, die diese Veränderungen vorantreiben. Leute, die Druck machen, ja, Leute, die auch etwas stören. Solche Leute hat es immer gegeben. Und es gibt sie auch heute.

Wann wird die erste Frau zur Priesterin geweiht?
Das weiss ich wirklich nicht. (lacht)

Was würden Sie Papst Franziskus gerne persönlich sagen, wenn er sich jetzt zu Ihnen setzten würde?
Ich würde ihm sagen, dass er sich die Vielfalt von Menschen anschauen soll. Diese Vielfalt ist nicht zufällig. Es gibt viele Menschen mit vielen verschiedenen Charismen, das ist kein Zufall. Und deshalb ist es auch kein Zufall, dass es Frauen gibt, welche die Berufung haben, Priesterin zu werden.

Wie sieht Ihre ganz persönliche katholische Kirche aus?
Eine Kirche, die glaubwürdig ist. Eine Kirche, die synodal ist. Eine Kirche, in der demokratische Prozesse nicht nur respektiert, sondern auch gelebt werden. Eine Kirche, die allen Menschen nicht nur dieselbe Würde, sondern auch dieselben Rechte zuspricht. Und niemanden aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder des sozialen oder kulturellen Hintergrunds benachteiligt. Das wäre meine Kirche.

Lisa Stalder / reformiert.info

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