Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug
Porträt: Pfarrerin Jrene Bianchi

«Ich wusste, die katholische Kirche kann ich nicht reformieren»

von Carole Bolliger
min
02.04.2024
Jrene Bianchi hat einen unkonventionellen Weg hinter sich. Seit einem guten halben Jahr ist sie nun Pfarrerin in Hünenberg. Es ist ihre allererste Pfarrstelle und sie könnte sich keinen besseren Job vorstellen.

Ende August 2023 wurde Jrene Bianchi ordiniert, nur ein paar Tage danach trat sie ihre erste Pfarrstelle in Hünenberg an. Und das mit 55 Jahren. Ihr Weg ist anders, etwas unkonventionell – streng katholisch aufgewachsen in Weesen SG, heute reformierte Pfarrerin. «Der Glaube hat in meinem Leben schon immer eine grosse Rolle gespielt, aber mit dem streng katholischen Glauben, dem Frauenbild und dem autoritären System der Katholiken konnte ich mich nie wirklich identifizieren», erzählt sie.

Ich habe meinen Traumjob in meiner Traumgemeinde gefunden.

Sie verlor ihren Vater, als sie 14 war, schmiss die Matura hin, wurde magersüchtig, zog mit 17 Jahren von zu Hause aus und schlug sich in Zürich durch. So kam sie denn während ihrer rebellischen Jugendjahre ein paar Jahre ganz weg vom Glauben. Später fand sie ihn wieder, allerdings über die reformierte Kirche.

Kein gradliniger Weg

Spätestens bei ihrer Heirat – sie heiratete noch katholisch – wurde ihr klar, dass sie besser zu den Reformierten passt. Sie erinnert sich: «Der katholische Priester, der uns traute, sagte zu mir: Seien Sie zufrieden, Sie dürfen ja Kinder gebären, mehr müssen Sie vom Leben nicht mehr wollen.»

Immer stärker merkte sie, dass sie als demokratischer Mensch mit den Strukturen der katholischen Kirche haderte. «Ich wusste, die katholische Kirche kann ich nicht reformieren, das haben schon andere versucht», sagt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern und schmunzelt. Logische Konsequenz: Sie konvertiert zur reformierten Kirche. Für ihren katholischen Mann war das nie ein Problem. Für die Mutter von Jrene Bianchi sah das ganz anders aus. Auch sie wuchs streng katholisch auf und hatte das Gefühl, versagt zu haben. «Sie hatte drei Töchter, und alle waren nicht mehr katholisch.»

Viel wichtiger ist es, dass wir versuchen, das Paradies im jetzigen Leben zu verwirklichen.

Jrene Bianchi hat nicht nur zu ihrem passenden Glauben gefunden, sondern auch ihren Traumberuf. Mit 45 Jahren holte sie die Matura nach, danach studierte sie Theologie an der Uni Zürich. «Ich habe meine 50-jährige Schwester in den Krebstod begleitet und gemerkt, dass ich Pfarrerin werden möchte.» In einer solchen Situation mache man sich Gedanken, was einem im Leben wichtig ist und auch im Sterben.

Den Glauben sieht sie als Bereicherung im jetzigen Leben, und das möchte sie auch den Menschen in Hünenberg aufzeigen und weitergeben. «Ich hoffe, dass wir nach dem Tod ins Paradies kommen, aber viel wichtiger ist es, dass wir versuchen, das Paradies im jetzigen Leben zu verwirklichen», so die Pfarrerin, die in Langnau am Albis lebt.

Jrene Bianchi sieht es als grosses Glück, dass sie gleich schon mit ihrer ersten Pfarrstelle den Jackpot gezogen hat. «Ich habe meinen Traumjob in meiner Traumgemeinde gefunden», schwärmt sie. Sie sei nicht überrascht, aber sehr erfreut, wie offen die Menschen in Hünenberg seien. «Ich habe jeden Tag schöne Begegnungen, auch ausserhalb der Kirche», freut sie sich. Und die Offenheit der Gemeinde spürt sie auch in ihrer Arbeit.

Bistrokirche mit Dorfarzt

Sie versucht, mehr Menschen wieder für die Kirche zu interessieren. Dies mit verschiedenen neuen, zum Teil etwas unkonventionellen Angeboten: Immer am ersten Sonntag des Monats findet die Bistrokirche statt. Die Menschen kommen als Gemeinschaft zusammen. Es wird gegessen und getrunken und jedes Mal lädt Jrene Bianchi einen Gast aus der Gemeinde zum Gespräch ein. Im April wird es der Dorfarzt sein.

Ich habe viele Sachen selbst schon erlebt, da ich nicht den geradesten Weg gegangen bin.

Die ersten beiden Bistrokirchen-Anlässe waren schon ziemlich gut besucht, worüber sich die Initiantin freut. Gut aufgenommen wurde die Klangschalenmeditation, die zwei Mal im Monat stattfindet. «Fiire mit de Chline» ist das neuste Angebot, das von Bianchi initiiert wurde.

Neben all den Angeboten und schönen Begegnungen liebt Jrene Bianchi an ihrer Arbeit auch das Predigen. «Mir ist es sehr wichtig, dabei authentisch zu sein. Jedes Wort, jeder Satz, den ich sage, muss für mich in dem Moment stimmen.» Und auch die Seelsorge sieht sie als wichtigen Teil ihrer Arbeit. «Ich habe viele Sachen selbst schon erlebt, da ich nicht den geradesten Weg gegangen bin, das hilft sicherlich.» Genau dieser eher unkonventionelle Weg macht sie zu der, die sie heute ist: Pfarrerin mit Herz und Seele, die in Hünenberg ihren Traumjob gefunden hat.

 

Unsere Empfehlungen

Was würden Sie Jesus wichteln?

Was würden Sie Jesus wichteln?

Hätte Jesus auch gewichtelt? Fünf bekannte Menschen aus dem Kirchenumfeld erzählen, was sie Jesus zu diesem Adventsbrauch schenken würden. Die Antworten reichen vom Apfel bis zu Max Frischs Fragebogen.