«Im Gebet erfahren wir göttliche Gegenwart»
Der Berner Architekt Hansruedi Bolliger macht sich stark für den Frieden. Er will, dass die Schlächterei in Syrien ein Ende hat – sie könne nicht Gottes Wille sein. Damit dieses Anliegen Gehör findet, tat er zweierlei: Er sandte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Schreiben, endlich für Frieden zu sorgen. Und er liess 50 Freunden eine Gebetsanleitung zukommen, die dieses Anliegen beinhaltet.
Gemeinsam für den Frieden zu beten, ist nicht neu. 1986 lud Papst Johannes Paul II. zum ersten ökumenischen Friedensgebet. Im italienischen Assisi beteten Vertreter verschiedener christlicher Kirchen und Gemeinschaften sowie anderer Religionen für den Frieden.
Länger leben dank Gebet
Welche Wirkung haben solche Gebete? Tritt ein Anliegen eher ein, wenn man darum betet, als wenn man dies nicht tut? Eine rationale Frage, auf die gleich eine weitere folgt: Kann man dies überhaupt nachweisen? Der englische Naturforscher Francis Galton war der Meinung, dies sei möglich. Einzige Voraussetzung dafür: Genügend Daten für eine Statistik zu sammeln. In einer statistischen Untersuchung über die Wirksamkeit von Gebeten tat er dies 1872. Darin verglich er die Lebenserwartung von Mitgliedern des englischen Könighauses mit der von Geistlichen, Anwälten, Medizinern und dem Landadel.
Francis Galton hatte die Vermutung, dass die Könige die höchste Lebenserwartung aufweisen müssten. Schliesslich beteten alle Untertanen regelmässig für diese. Doch das Resultat der Untersuchung war ein anderes: Die Lebenserwartung der Mitglieder des Könighauses lag tiefer als die des Landadels. Ein Zusammenhang zwischen Gebet und Lebenserwartung konnte Francis Galton also nicht feststellen. Das Resultat interpretierte der Engländer damit, dass der Landadel ein weniger gestresstes Leben führe als die Könige. Und das sei es, was sich auf das Alter auswirke.
Studien im medizinischen Bereich
Es blieb nicht bei dieser Studie. Weitere Untersuchungen folgten, um die Wirkung des Betens zu erkunden – vor allem im medizinischen Bereich. Eine Studie der Universität Witten-Herdecke mit 112 Krebspatienten und 57 Multiple-Sklerose-Kranken zeigte: 40 Prozent der Befragten glaubten daran, dass spirituelle Kräfte ihre Genesung zum Guten beeinflussen könnten.
An der New Yorker Columbia-Universität beteten für Forschungszwecke Leute für 219 Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch – weder die Patientinnen noch die behandelnden Ärzte wussten davon. Die Fruchtbarkeit soll sich daraufhin verbessert haben. In Boston führte die Harvard Medical School eine Studie an 1800 Patienten durch, die sich wegen verengter Herzkranzgefässe einer Bypass-Operation unterziehen mussten. Das Resultat: Die Gebete durch Fremde wirkten sich nicht auf die Gesundheit der Patienten aus.
Macht der naturwissenschaftliche Ansatz, Gebete auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen, Sinn? Nein, findet Otto Schäfer, Beauftragter für Theologie und Ethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Die Kategorien Ursache und Wirkung im Zusammenhang mit dem Gebet zu verwenden sei falsch; Spiritualität sei nicht das Gleiche wie Naturwissenschaft und Technik, Gnade nicht das Gleiche wie Erfolg. «Im Gebet erfahren wir göttliche Gegenwart. Es ist eine andere Dimension, die in unsere Welt hineinkommt», sagt Otto Schäfer. Wäre die Wirksamkeit von Gebeten messbar, wäre das beunruhigend. «Denn dann könnten wir Gott manipulieren.»
Gunda Brüske, Ko-Leiterin Liturgisches Institut der deutschsprachigen Schweiz in Fribourg, sieht das ähnlich: «Die Wirkung eines Gebetes liegt in Gottes Hand. Sein Wille geschehe.» Das sei empirisch nicht fassbar, schliesslich könne ein Anliegen auch erst fünf Jahre später nach einem Gebet eintreten. «Wie will man da die Wirkungszeit festlegen?», fragt Gunda Brüske.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Nicola Mohler / reformiert. / 14. April 2016
«Im Gebet erfahren wir göttliche Gegenwart»