Im Zeichen der Versöhnung
Der Gottesdienst im vollen Zürcher Grossmünster stellte am 6. März nicht das Zerwürfnis, für welches das berühmte Wurstessen auch steht, in den Mittelpunkt, sondern die Versöhnung. Zur Ökumene und zum interreligiösen Dialog gebe es heute gar keine Alternative, sagte Michel Müller, der Präsident der reformierten Landeskirche im Kanton Zürich. Er erinnerte an der interreligiöse Friedensgebet für die Ukraine, das am 28. Februar stattgefunden und das Grossmünster bereits Anfang Woche bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Müller gestaltete den Predigtteil gemeinsam mit dem katholischen Generalvikar Luis Varandas und Jürg Bräker, Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten in der Schweiz.
Am 9. März 1522 waren in der Druckerei Froschauer Wurstscheiben wie Oblaten serviert worden. Dabei handelte es sich nicht um einen kleinen Imbiss unter Freunden, sondern um einen öffentlichkeitswirksamen Tabubruch. Der Patron des Betriebs beging nämlich mit seinen Gesellen und zwei Priestern bewusst einen Fastenbruch, der damals unter Strafe stand. Der Reformator Huldrych Zwingli sass mit am Tisch. Er ass zwar kein Fleisch, verteidigte das Wurstessen jedoch später von der Kanzel herab.
Kritischer Rückblick
Von der Wurst gekostet hatten auch Angehörige der Täuferbewegung, aus der die Mennoniten hervorgegangen sind. Sie wurden schon bald von Gefährten zu Verfolgten. Der Gottesdienst gedachte deshalb nicht nur dem Bruch zwischen katholischer und reformierter Kirche, sondern auch der Verfolgung der Täufer.
Dass das Taufverständnis bis heute zwischen den beiden auf die Reformation zurückgehenden Kirchen steht, sei «ein grosser Schmerz», sagte Bräker. Die Pfarrerin Bettina Lichtler, die das Predigtgespräch leitete und den Gottesdienst gemeinsam mit Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist liturgisch gestaltete, hatte die von vielen Kirchen unterschriebene Taufanerkennung als wichtige Errungenschaft der Ökumene vorgestellt.
Auf den Fastenbruch blickten die Repräsentanten der Kirchen durchaus kritisch zurück. Für Müller zeigen die Schriften Zwinglis, in denen der Reformator die kulinarische Revolution verteidigte, wie sich mit der Bibel ganz unterschiedliche Weltsichten begründen lassen. Und Bräker bezweifelte, dass für das Volk damals der Fleischkonsum in der Fastenzeit tatsächlich die grosse Freiheit bedeutete. Viel wichtiger seien spätere soziale Errungenschaften der Reformation gewesen.
Von der Utopie zur Realität
In ihrem Grusswort betonte die Regierungsratspräsidentin Jacqueline Fehr die Wichtigkeit des Religionsfriedens. «Er ist der eigentliche Grund, weshalb wir heute feiern.» Blicke man auf die Geschichte seit dem Wurstessen zurück, auf das Verfolgung und Konfessionskriege folgten, so sei der Religionsfriede in der Schweiz «von der Utopie zur Wirklichkeit geworden». Als Meilenstein in der jüngeren Geschichte auf dem Weg dahin bezeichnete Fehr die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche im Kanton Zürich, die seit 1963 gilt.
Am Tag zuvor waren sich an der Theologischen Fakultät und in der Zürcher Wasserkirche Reformierte, Katholiken und Mennoniten begegnet und hatten in vom Verein «reformiertbewegt» organisierten Ateliers und Plenarveranstaltungen über das Trennende und vor allem das Verbindende in der Ökumene diskutiert. Die Friedentheologie der Täufer gewann gerade im Schatten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine neue Dringlichkeit. Auch von der katholischen Liebe zur Liturgie können die anderen Konfessionen profitieren, genauso wie das reformierte Konzept vom Priestertum aller Gläubigen die Kraft besitzt, Kirchen über Konfessionsgrenzen hinaus zu erneuern.
Ökumenisches Wurstessen
Im Anschluss an den Sonntagsgottesdienst waren alle Besucherinnen und Besucher zu einem Wurstessen eingeladen. Anders als die Pioniere in der Reformationszeit bekamen sie jedoch nicht nur eine Scheibe, sondern durften sich am vor der Kirchentür aufgebauten Grill für eine ganze Bratwurst in die lange Reihe stellen.
Felix Reich, reformiert.info
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