Jugendliche gesucht: mit Popsongs auf die Kirchenbühne

Beyoncé anstatt Paul Gerhardt: Um ein jüngeres Publikum zu erreichen, setzt die Kirche vermehrt auf Popmusik. Die Reformierte Kirche Kanton Zug veranstaltet von Januar bis März ein Jugendchor-Projekt für Jugendliche im Alter von 12 bis 21 Jahren. Gesungen werden eingängige Popsongs, geprobt wird im Kirchgemeindesaal der reformierten Kirche in Cham.

Am Freitag, 15. März, treten die Teenager vor grossem Publikum in der reformierten Kirche Baar auf. «Ja, so ein Auftritt braucht Mut. Aber genau dieses Verlassen der Komfortzone lässt uns immer wieder wachsen. Es war sehr eindrücklich, zu sehen und zu hören, wie beim letztjährigen Jugendchorprojekt das Selbstvertrauen der Jugendlichen wuchs», erinnert sich Andrea Tschudi. Beim Auftritt am Jugendgottesdienst in Cham sangen dann tatsächlich alle Teilnehmenden mehrere kurze Solos.

Gratis-Gesangstunden

Doch kein Grund zum Lampenfieber: Wer ein grösseres Solo übernimmt, erhält auf Wunsch gratis Gesangunterricht. Für die Jugendlichen bietet dieses Projekt die einmalige Chance, ohne grossen zeitlichen Aufwand an einem Chorprojekt teilzunehmen und gemeinsam mit anderen aus dem ganzen Kanton Zug Popsongs zu lernen und aufzuführen.

Wer zudem Lust hat, sogar einmal selber mit der Unterstützung eines Profis einen Song zu schreiben, hat im Rahmen dieses Projekts ebenfalls die Möglichkeit dazu. Andrea Tschudi weiter: «Von Januar bis März haben die Jugendlichen also die Qual der Wahl: Wer möchte, kann mit den anderen singen, ohne sich besonders zu exponieren. Wer Lust hat, kann Solos übernehmen und sich dafür einzeln oder gemeinsam mit anderen coachen lassen.» Und wer sich zusätzlich kreativ musikalisch betätigen wolle, kriege beim Schreiben eines eigenen Songs Unterstützung, fügt Andrea Tschudi hinzu. Letztes Jahr habe übrigens dies eine Teilnehmerin gemacht und den Song am Jugendgottesdienst in Cham vorgetragen. «Das war unglaublich toll und berührend!», erzählt die Chorleiterin Andrea Tschudi begeistert.

Ausbildung an Musikhochschule

Andrea Tschudi kommt ursprünglich aus Näfels im Kanton Glarus und hat ihre Ausbildung zur Gymnasial- und Jazzgesangslehrperson an der Musikhochschule Luzern absolviert. Gottesdienst und Kirchenmusik waren Tschudi eigentlich nicht in die Wiege gelegt. «Ich bin Chemikertochter», antwortet sie lachend auf die Frage nach ihrem religiösen familiären Hintergrund.

Seit ihrer Kindheit hatte sie kein Kirchengesangbuch mehr in den Händen gehalten. Umso überraschter war sie beim Stellenantritt in Zug über die Vielfalt der Lieder, die im Gesangbuch vorkommen. «Es ist toll, wenn in der Kirche eine gewisse stilistische Breite Platz hat und gepflegt wird. Dies ermöglicht auch, dass gemeinsames Singen Menschen mit unterschiedlichen musikalischen Vorlieben und Hintergründen zusammenbringt.»

Andrea Tschudi unterrichtet seit gut 20 Jahren Pop/Rock/Jazz-Gesang und hat ausserdem jahrelang mehrere Jugendchöre geleitet und Songwritingkurse für Jugendliche gegeben. «Jugendliche haben unglaublich viel zu sagen. Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit sich selbst, ihren Gefühlen, ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt. Genau diese Intensität kann aber verunsichern. Ich möchte die Jugendlichen dabei unterstützen, mutig zu sich und ihrer Stimme zu stehen.»

Erste Pop-Kirchenmusik-Stelle

Die Reformierte Kirche Kanton Zug hat das Potenzial der Popmusik und des Singens mit Jugendlichen erkannt und eigens eine Pop-Kirchenmusik-Stelle geschaffen. Seit anderthalb Jahren hat Andrea Tschudi diese Position inne.

In der Schweiz stellt Popmusik in der Kirche allerdings eher noch die Ausnahme dar. Nicht so in den USA. Dort haben die Karrieren von Stars wie Tina Turner oder Whitney Houston in der Kirche begonnen. «Wer weiss: Vielleicht entdecken ein paar Jugendliche ja am Jugendchorprojekt 2024 in Cham und Baar das eigene Talent! Oder zumindest (wieder) die Freude am Singen,» hofft Tschudi.