Karl Barth und der Himmel
Viele Kirchen und Sekten predigen über Erlösung, Verdammnis, das Jüngste Gericht und die Endzeit. Reformierte machen einen Bogen um solche Themen. Die Theologische Fakultät Basel wollte dies mit der Tagung «Karl Barth und die Apokalypse» ändern. Barth gilt als der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts, er legte mit seiner dialektischen Theologie die Grundlagen für die moderne Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts.
Karl-Barth-Forscher aus aller Welt nahmen an der Tagung teil, darunter Raffael Sommerhalder, der in Zürich promoviert hatte. Der Dogmatiker referierte über die Auferstehung der Toten, die Geistausgiessung und die Wiederkunft bei Barth. Diese Themen spielten bei Reformatoren wie Luther, Zwingli oder Calvin eine Rolle, erklärte Sommerhalder. Besonders bei Calvins Erwählungslehre, dass das Schicksal des Menschen bereits vor der Geburt feststehe und am Ende der Zeit relevant wird.
Aber vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften und der reformierten Nüchternheit traten solche Themen in der Theologie eher in den Hintergrund. In pietistischen Bewegungen ab dem 17. Jahrhundert und im religiösen Sozialismus fanden apokalyptische Vorstellungen ebenfalls Anklang. Etwa jene vom Reich Gottes, das bei Barth zum zentralen Thema wurde.
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Die Apokalypse, die Vorstellung vom Ende der Welt und von der Wiederkunft Christi, wirft viele Fragen auf, darunter die nach dem Leben nach dem Tod. Barth vertritt, ganz im Sinne des modernen Protestantismus, die Ganz-Tod-These: Es gibt keine Trennung von Seele und Leib, der Mensch stirbt als Ganzes. «Der Mensch ist für Barth identisch mit seiner Lebensgeschichte», sagt Sommerhalder. «Wenn diese endet, endet auch der Mensch.»
Für Barth war das nicht beunruhigend, denn nach dem Tod begegnen wir dem ewigen Gott, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich ist. Gott nimmt uns als vergangene Menschen in seine Gegenwart auf.
Der Dichterpfarrer Kurt Marti verbindet dies mit der Auferstehung: Ich bin im Gedächtnis Gottes gespeichert und erfahre eine Wiederbelebung, indem Gott lebendig ist und mich in sein Leben aufnimmt. Sommerhalder verwendet dafür das Bild einer Festplatte: «Nach dem Tod sind wir auf der Festplatte Gottes gespeichert, während unsere eigene nicht mehr existiert.» Barths Aussagen müssten im Kontext der modernen Natur- und Geisteswissenschaften gesehen werden, meint Sommerhalder.
Jüngstes Gericht und Hölle
Gibt es bei Barth kein Jüngstes Gericht, keine Hölle, keinen Himmel? Unsere Begegnung mit Gott nach dem Tod sei eine Art Gericht, sagt Sommerhalder. Dort werde unser Leben offenbar – mit allem, was wir falsch gemacht haben. «Wir können es nicht mehr ändern, uns nicht mehr verstecken oder herausreden. Im Gegenteil: Alles wird offenbar, gerade vor dem Hintergrund von Kreuz und Auferstehung Jesu.» Gott strebt immer nach Versöhnung und Vergebung. Er nimmt den Menschen grundsätzlich an. Das göttliche Endgericht symbolisiert für Barth das, was allen Menschen widerfährt.
Die mittelalterliche Vorstellung, dass am Jüngsten Tag einige in der Hölle der ewigen Verdammnis und andere im Paradies landen, hält Barth zumindest in der Darstellung, wie man sie über mittelalterlichen Kirchentüren findet, für falsch. Barth behauptet jedoch nicht, es gebe keine ewige Verdammnis, er will Gott die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, was er mit den Menschen nach dem Tod machen will.
Das Böse und das Nichtige
Auch zum Bösen hat Barth eine eigene These. In seiner Dogmatik entwickelt er die Lehre des Nichtigen. Mit der Offenbarung in Jesus Christus als Erlöser zeigt Gott, welche Wirklichkeit und welches Reich er will. Sein Reich ist das Reich der Liebe und der Freiheit. Das ist die wahre Wirklichkeit des Lebens.
Wenn der Mensch sich Gott widersetzt und das Böse wählt, bewegt er sich im Nichtigen und entzieht sich der Wirklichkeit Gottes. «Wir Menschen stehen ständig in der Versuchung des Nichtigen», sagt Sommerhalder. «Das Nichtige setzt Kräfte frei, die unseren Alltag prägen.» Selbstkritisch müsse man sich fragen, inwieweit man diesen Mächten erlegen sei und inwieweit sich das Nichtige in Ideologien verselbstständigt habe, sodass Politik und Wirtschaft den Menschen seiner Würde beraubt und ihn versklavt. Für Barth ist der Sieg Christi über das Nichtige und Böse gewiss, auch wenn der Mensch immer wieder gegen die Versuchung des Nichtigen ankämpfen muss.
Deshalb sei Barths Weltbild auch heute noch aktuell, sagt Raffael Sommerhalder. Gerade in einer Zeit der Kriege und der Spaltung der Gesellschaft. Es besagt, dass die Welt letztlich auf Liebe und Frieden zusteuert. Das Ende der Welt, die Apokalypse, bedeutet Heilung und Trost. Sie verheisst, dass Gott die Welt in seiner Hand hält und die Welt zur Gnade bestimmt ist.
Karl Barth und der Himmel