«Kein Krieg im Namen der Religionen!»
Vor der Kongresshalle in Lindau flattern die bunten Fahnen mit der Aufschrift «Religions for Peace». Fünf Tage lang trafen sich hier mehr als 900 Religionsvertreter aus der ganzen Welt. Schon die Garderobenfrauen im Untergeschoss der Kongresshalle schwärmen von der Friedenskonferenz, die in der kleinen Bodensee-Stadt stattfindet. «So viele bunte Gewänder, so viele Hautfarben, so viele freundliche Menschen - einfach faszinierend», sagt eine Garderobiere. Später im grossen Saal sitzen einträchtig nebeneinander in orange gehüllte Hindu-Yogi, Schiiten und Sikhs mit kunstvoll gewickelten Turbanen, afrikanische Frauen mit traditionellen Kopftüchern, Juden mit Kippas und orthodoxe Priester mit rot-violetten Samthauben.
Der gläubige Bundespräsident
In seinem nüchtern-protestantischen Anthrazitanzug ist dagegen Frank Walter Steinmeier bei der Eröffnungsfeier ans Rednerpult getreten. Der «gläubige Christ» sprach deutliche Worte: «Wir mögen unterschiedlich sein in unserem Glauben. Aber einen muss uns die gemeinsame Haltung: Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein. Kein Krieg darf geführt werden im Namen der Religion!»
Der reformierte Steinmeier, gern gesehener Gast bei den Evangelischen Kirchentagen, hat bereits in seiner Zeit als Aussenminister in seinem Departement die Stabsstelle «Religion und Aussenpolitik» geschaffen. Das Aussenministerium wie auch der Freistaat von Bayern haben den grössten Teil der neun Millionen Euro für die fünftägige Konferenz bezahlt. Das staatliche Engagement in Deutschland beeindruckte auch Harald Rein, christkatholischer Bischof der Schweiz. Er wünscht sich vom Bund eine ähnliche Unterstützung für interreligiöse Netzwerke. Gerade die Schweizer Diplomatie sollte vermehrt die religiösen Akteure in den Blick bekommen, meinte Rein, der auch Präsident des Schweizer Rates der Religionen ist.
Gegründet hat den Rat der Religionen in der Schweiz Thomas Wipf im Jahr 2003 am Vorabend des Zweiten Irakkrieges. Seither hat den ehemaligen Präsidenten des SEK das interreligiöse Engagement nicht mehr losgelassen. Ein Jahr lang hat er ehrenamtlich an den Vorbereitungen zu der Friedenskonferenz mitgearbeitet, als Präsident der europäischen Sektion der weltumspannenden Organisation Religion for Peace. Wipf erklärt das Grundprinzip der Religions-NGO, die auch in New York bei der UNO vertreten ist, folgendermassen: «Bei uns wird nicht theologisch diskutiert, welche Religion der Wahrheit näher ist. Wir schöpfen vielmehr eine gemeinsame Hoffnung auf Frieden aus unseren verschiedenen spirituellen Quellen.»
Viele Veranstaltungen beweisen, dass dies kein leeres Lippenbekenntnis ist. Beeindruckend wie ein Christ und ein Muslim von ihren Erfahrungen eines Friedensdorfes erzählen. Denn seit der islamistische Boko Haram in Nigeria das Religionsklima vergiftet, fällt vielen der Brückenschlag schwer. Aber es gilt auch, was Thomas Wipf in einer Rede vor dem Forum der Friedenskonferenz so umschreibt: «Als Mitglieder von religiösen Gemeinschaften sind wir nicht automatisch bessere Menschen.»
So berichtet beispielsweise eine Frau des Bahai-Glaubens, eine in Iran gegründete und streng verfolgte Religion, dass die schiitischen Vertreter jedes Gespräch mit Bahai-Mitgliedern auf der Konferenz unterbinden.
Mediation für Myanmar
Wie die Begegnungen hinter verschlossenen Türen zwischen Religionsvertretern aus Konfliktländern verlaufen, lässt sich nur erahnen. Denn dies ist eine der wichtigsten Zielsetzungen der Friedenskonferenz: Friedensprozesse zwischen verfeindeten Religionen zu initiieren. Da trafen sich beispielsweise Buddhisten mit Rohingya-Muslime aus Myanmar. Das danach verlesene Communiqué tönte wohl Friedenswille und Versöhnung an. «Aber man spürt keine Herzenswärme in der Erklärung», sagt ein deutscher Buddhist. Er ist betrübt, dass die Vertreibung Hunderttausender muslimischer Rohingya die Friedfertigkeit des Buddhismus in ein schiefes Licht rückt.
Auch andere politische Handlungsfelder standen auf dem Programm. Die lateinamerikanischen Delegierten, darunter Repräsentanten der Naturvölker, formulierten eine gemeinsame Resolution, in der sie den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro aufforderten, den brennenden Amazonas zu schützen. Das Wichtigste ist indes: Lindau verwandelte sich für fünf Tage zu einer Drehscheibe der vorurteilslosen Begegnungen in einer Welt, in der oft Religion die Menschen voneinander trennt.
Delf Bucher, reformiert.info, 28. August 2019
«Kein Krieg im Namen der Religionen!»