Kirche 2.0: Wie Zuger Pfarrerinnen Kirche neu denken
«Wir Kirchen müssen heute einen anspruchsvollen Spagat meistern: Es geht einerseits darum, den unverrückbaren Kern unseres Glaubens zu bewahren. Andererseits ist es wichtig, unsere Angebote in Inhalt und Gestalt zu modernisieren», sagt Simona Starzynski, Kommunikationsverantwortliche der reformierten Kirche Kanton Zug. Dem pflichten auch Bettina Mittelbach, Pfarrerin in Ägeri, und Jrene Bianchi, Pfarrerin in Hünenberg, bei. Sie stehen beispielhaft für Kirchgemeinden im Kanton, die innovativ unterwegs sind, gern neue Sachen und Angebote ausprobieren.
«Ich sehe Innovation als Teil des christlichen Charakters», sagt Bettina Mittelbach und verweist auf Jesus als Vorbild für kreative und unkonventionelle Ansätze. «Jesus war in seiner Methodik und Didaktik bereits sehr innovativ.» Ihre Pfarrkollegin Jrene Bianchi betont die Notwendigkeit innovativer Projekte, um Menschen anzusprechen, die von traditionellen Formaten nicht mehr erreicht werden. «Viele sehen die Botschaft des Glaubens als nach wie vor aktuell an, aber die Art der Vermittlung muss sich ändern», ist sie überzeugt. Es brauche neue Sprachen und Formen.
Töpfern während des Gottesdienstes
Konkret findet bei Jrene Bianchi in Hünenberg seit kurzem nur noch einmal im Monat ein traditioneller Sonntagsgottesdienst statt. Den weiteren, neben der Bistro-Chile, gestaltet sie in unterschiedlich neuen Formen. So können Gottesdienstbesuchende in der «Kirche kreativ» zum Beispiel gemeinsam töpfern, eine Blumen- und Pflanzenmeditation abhalten und aus den Pflanzen einen Brotaufstrich herstellen. «Mir ist es wichtig, dass wir zusammen etwas für die Gemeinschaft erschaffen», erklärt Jrene Bianchi.
So könnten zum Beispiel beim Töpfer-Gottesdienst Dekorationsobjekte entstehen, die dann in der Kirche bleiben. Und den selbst gemachten Brotaufstrich werden die Besuchenden nach dem Anlass gemeinsam geniessen. Doch wo bleibt da der kirchliche Aspekt? «Während die Besucherinnen und Besucher kreativ arbeiten, werde ich passende Stellen aus der Bibel vorlesen und dazu Gedankenanstösse mitgeben», versichert die Hünenberger Pfarrerin.
Gottes Wirken spüren
In Ägeri hat Bettina Mittelbach letztes Jahr das «Kamingespräch im Pfarrhaus» eingeführt. Dabei trifft sich eine kleine Gruppe von etwa sechs Frauen und Männern einmal im Monat in Bettina Mittelbachs Wohnzimmer, um sich über religiöse und theologische Fragestellungen auszutauschen. Beim «open door»-Gottesdienst, dem Nachfolgegefäss des ehemaligen Praise-Gottesdienstes, «stehe die Tür zu Gott allen offen». «Egal welcher Herkunft oder Konfession, wir heissen jede und jeden willkommen», versichert die Pfarrerin. Auch Jesus habe niemanden abgewiesen, sondern zu Brot und Wein eingeladen. «Und in all dem spüren wir das Wirken Gottes – an uns und anderen.»
Auch thematisch und gestalterisch sind die «open door»-Gottesdienste offen. «Die Themen finden uns – sie liegen in der Luft, sind vom Moment oder von Menschen inspiriert», so Mittelbach. Geblieben sind das Zöpfli-Essen vor dem Gottesdienst und die hohe Bedeutung von Musik.
In Zusammenarbeit mit der Gemeinde
Sowohl Jrene Bianchi als auch Bettina Mittelbach erleben in ihren Kirchenpflegen grosse Offenheit gegenüber ihren neuen, zum Teil unkonventionellen Ideen. «Ohne das würde es nicht gehen», sind sie sich dessen bewusst. Doch nicht nur die Verantwortlichen der Kirche sind bereit für anderes, grösstenteils stossen die beiden auch in ihren Kirchgemeinden auf aufgeschlossene Menschen.
Trotzdem sei die grösste Herausforderung, Menschen dazu zu bewegen, den neuen Formaten eine echte Chance zu geben, so Jrene Bianchi. Beide Pfarrerinnen entwickeln ihre Ideen in Zusammenarbeit mit Gemeindemitgliedern oder werden inspiriert von zufälligen Begegnungen. Sie versuchen, die Bedürfnisse der Menschen zu spüren und darauf zu reagieren sowie dabei traditionelle Elemente zu bewahren, während sie gleichzeitig offen für Neues sind. Sie orientieren sich am reformatorischen Prinzip des «semper reformanda» – der ständigen Erneuerung.
Innovative Angebote
Hünenberg:
Theater: Geplant ist eine Umsetzung biblischer Geschichten in die heutige Zeit, unter Einbeziehung des Publikums.
Bistro-Kirche: ein dialogisches Format mit Gästen zu verschiedenen Themen, begleitet von Essen und Trinken.
Klangschalenmeditation: eine Verbindung von Spiritualität und Entspannung.
Immer diese einsamen Sonntage! Gemeinschaft nach dem Gottesdienst im Alterszentrum Lindenpar: gemeinsam ein Sonntagsfestmenü geniessen.
Ägeri:
Velopilgern: Das Projekt soll zeitgleich starten mit der angestrebten Zertifizierung als Velokirche. Velokirchen sind Kirchen, die an Fahrradrouten liegen.
Die «Sonntagsbörse» (Arbeitstitel) soll Menschen am Sonntagnachmittag zusammenführen unter dem Motto: «Wer hat Lust, mit mir (dies und das) zu unternehmen?».
Kirche 2.0: Wie Zuger Pfarrerinnen Kirche neu denken